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Wald

Wald

Titel: Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Waechter
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in dem Raum um, der ihm im Kloster immer der liebste gewesen war. Es hat sich nicht viel geändert, seit er das letzte Mal hier gewesen ist. Aber er ist nicht hergekommen, um in den Erinnerungen an eine schönere Zeit zu schwelgen. Er sollte sich besser beeilen, wenn er seine Idee verwirklichen will, bevor die Komtess ihre Gebete beendet hat und zurück zur Burg aufbricht. Nur solange sie beide hier sind, hat er die Möglichkeit, sie ungestört anzusprechen, ohne von misstrauischen Augen und neugierigen Ohren beobachtet und belauscht zu werden.
    »Dann also schnell, Envin«, sagt er in den leeren Raum hinein.
     
    Sidus läuft suchenden Blickes durch die große Säulenhalle am Hauptportal der Burg. Trotzdem bemerkt er den Hofnarr nicht, der sich an ihn heranschleicht und der plötzlich hinter seinem Rücken hervorspringt.
    »Du meine Güte!«
    Sidus schnappt nach Luft.
    »Was erschreckt Er mich so! Und warum hat Er nicht Seine Mütze mit den Glöckchen auf, damit mit man schon von Weitem hören kann, dass ein Dummkopf in der Nähe ist?«
    Sidus fängt sich langsam wieder.
    »Aber todesmutiger Ritter, ich wollte nur Eure Reaktionen testen. Außerdem sind die Glocken kein Sinnbild für einen Idioten, nein, vielmehr eine Warnung vor dem Tod! Doch heute Mittag brauche ich sie nicht, da ich das Kloster aufsuchen muss. Der Lärm würde die Mönche nicht vor Gefahren warnen, höchstens würde er in den verstaubten Mauern den ein oder anderen Toten aufwecken. Und für derart makabere Scherze habe ich heute wirklich keine Zeit. Aber sagt, leuchtender Sidus, warum schleicht Ihr hier umher wie ein blinder Bettler, der seine Münzen sucht.«
    Sidus starrt ihn an, überlegt kurz, ob er ihn für seine unangepassten Bemerkungen zurechtweisen solle, besinnt sich dann aber darauf, dass man von einem Narren nicht mehr Verstand erwarten darf, und antwortet schließlich knapp und wahrheitsgetreu, »ich suche nach meinem werten Bruder. Wir müssen uns für unseren heiligen Feldzug vorbereiten und Envin ist an keiner Stelle der Burg aufzufinden.«
    »Oh, da habt Ihr aber Glück. Ich weiß, wo er ist, liegt auf meinem Weg.«
    Der Narr klatscht vergnügt in die Hände. Dann hält er Sidus seinen rechten Arm hin, damit dieser sich bei ihm einhaken kann. »Kommt mit mir. Ich führe Euch zu ihm.«
    Sidus stößt den dargebotenen Arm weg, folgt dem Narr dennoch, allerdings immer zwei Schritte Abstand zu ihm haltend.
     
    Envin zieht den letzten Strich auf dem Pergament.
    Wunderbar denkt er.
    Er steht auf, legt den Griffel zur Seite und nimmt das Papier vorsichtig auf. Dann läuft Envin zurück in die Kapelle. Seine Anspannung legt sich, als er sieht, dass Llyle noch immer an derselben Stelle sitzt. Schweigend lässt Envin sich in die zweite Bankreihe schräg hinter ihr nieder und reicht das Bild nach vorne. Sie nimmt es entgegen und sieht sich nur kurz nach ihm um. Dann blickt sie wieder auf den Altar und legt das Pergament beiseite.
    »Vielen Dank, Envin, es ist sehr schön.«
    Es fällt Envin schwer, eine Gefühlsbetonung in ihre gleichmäßig gesprochenen Worte hineinzuinterpretieren.
    »Ich habe es nur für Euch gezeichnet, als Geschenk. Habt Ihr die Dame auf dem Ross gesehen, das seid Ihr. Und der Ritter zu Ihren Füßen, das ---«
    Er stockt und senkt ebenfalls seinen Kopf.
    »Jetzt wo Ihr Sidus und mich längere Zeit nicht sehen werdet --- da, dachte ich ---«
    »Envin ---«
    »Ja?«
    Er hat sein Haupt im Bruchteil einer Sekunde wieder emporgerissen.
    »Gebt gut acht auf meinen Sidus. Er ist so anders als Ihr.«
    Sie beugt sich vor, kniet sich auf die Gebetsbank und faltet die Hände. Envin denkt nach. Ob er den Moment nutzen soll, ihr seine wahren Gefühle zu offenbaren? Aber was soll das jetzt noch bringen? In drei Tagen brechen sie auf. Bis dahin wird er sie niemals dazu bringen können mit ihm zu fliehen. Und was wäre das für ein Leben, wenn sie beide ohne fürstlichen Segen durch die Lande zögen? Sie müssten sich das Nötigste erbetteln und allerorts auf die Gnade der Dörfler hoffen. Das ist keine Existenz, die er einer hochgeborenen, wohlerzogenen Dame anbieten darf. Wie kann er überhaupt über so etwas nachdenken? Weiß er nicht selbst, dass die Komtess sehr genau weiß, dass es sich für sie gebührt Sidus zu heiraten. Niemals würde sie ihre Verlobung lösen! Das sind doch nur Tagträumereien – nein, besser noch, Spinnereien!
    Envin will sich gerade beschämt zurücklehnen, als ihm ein weiterer Gedanke in den Sinn kommt.

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