Wald
als mein Bruder, der jeden Tag und jede Nacht mit glühenden Augen umherzieht, besessen von der Idee, er könnte mit meiner Hilfe den Drachen töten? Dieses Unternehmen ist für einen bösen Ausgang vorbestimmt.
»Nacht«
Ein dunkler Schleier hat sich über den Wald gelegt. Ihr Lager haben die beiden Drachenjäger in einer schmalen Mulde zwischen einigen umgefallen Baumstümpfen im Morast aufgeschlagen.
Envin zittert. Die Kälte schlägt ihm ins Gesicht wie ein feuchter Lappen. Sidus atmet tief. Er schläft den Schlaf des Gerechten. Envin kann keine Ruhe finden. Was wenn ihn ein wildes Tier im Schlaf anfällt? Er dreht sich von einer Seite zur Nächsten. Es ist wie damals, als er im Alter von acht Jahren in einem Gasthof im Heu übernachtet hat und sein Bruder ihm zuvor erklärt hat, dass ihm des Nachts Ratten an den Füßen knabbern würden.
Beruhige dich, sagt er sich immer wieder. Es wird nichts Schlimmes passieren.
Dann schrickt er auf. Da ist etwas, das im Geäst umherraschelt. Ganz sicher. Envin rüttelt an Sidus, der nur grummelt und sich wegdreht. Envin greift nach seinem Schwert und kauert sich auf den Boden. Als Nächstes werden die Pferde unruhig. Envin läuft zu ihnen und streichelt ihnen abwechselnd die Mähnen, um sie zu beruhigen. Er selbst hingegen wird immer nervöser. Wenn selbst die Tiere spüren, dass Gefahr droht ---
Was war das?
Er hat ein Geräusch gehört. Es scheint zwar ein gutes Stück entfernt gewesen zu sein, aber was war es? Es war beinahe wie ein Schreien, doch was ist das für ein Tier, das in der Nacht schreit? Außerdem klang es beinahe so, als wären es mehrere wilde Tiere, die im selben Moment gebrüllt hatten. Ein unliebsamer Gedanke schießt in seinen Kopf.
Was wenn es der Drache war?
Die Pferde fangen an, ungestüm mit den Hufen zu scharren. Envin greift nach den Zügeln seines Pferdes, die an einen Baumstamm angebunden sind, aber er kann das Tier nicht beruhigen. Envin springt zu Sidus und stupst ihn mit dem Fuß.
»Wasn los!«
Sidus macht keine Anstalten die Augen zu öffnen.
»Da ist irgendetwas Unheimliches im Wald. Die Pferde sind ganz unruhig und ---«
In diesem Moment bäumt sich Envins Pferd wiehernd auf und reißt seine Zügel los. Ohne nachzudenken, rennt Envin dem Ross in den Wald hinterher. Er kann das Pferd schon lange weder sehen noch hören, als sein Gehirn wieder einsetzt und er erschöpft stehen bleibt. Wie weit hat er sich vom Lager entfernt? Envin dreht sich um und schleppt sich zurück. Bereits nach ein paar Metern ist er sich nicht mehr sicher, durch welches Gebüsch und durch welches Gestrüpp er hergerannt war.
Envin stößt sich das Bein an einem Baumstumpf, den er in der Dunkelheit nicht gesehen hat. Humpelnd läuft er weiter, ungewiss wohin, bis er wie versteinert stehen bleibt. Wieder raschelt etwas im Unterholz. Diesmal ist es lauter. Envin hört wie Äste knacken und wie ein ganzer Baum zu Boden fällt. Panisch dreht er den Kopf in alle Richtungen. Ein heißer Windhauch umschlingt ihn. Was ist das?
Viele Meilen entfernt steigt ein Mann zur selben Zeit auf einen Turm seiner Burg, tritt auf den Balkon und lässt sich in die Kühle der Nacht eintauchen. Es ist Fürst Svetopluk, der zum ersten Mal seit Wochen wieder einen Fuß vor die Türen seiner Gemächer setzt. Über die Dächer und Mauern seiner Stadt blickt er auf das weite Meer und atmet die freie Seeluft tief ein. Seine Gegenspieler sind weit, weit weg, vielleicht sind sie bereits tot und er wird in Kürze mit der nächsten Phase seines Planes beginnen können – der Eroberung eines Damenherzens.
Sidus stolpert missmutig durch den dunklen Wald. Sein Pferd hat sich ebenfalls losgerissen und ist ihm entwischt. Wie unangenehm. Vermutlich hat Envin beim Anbinden der Gäule gepfuscht. Und wohin ist der kleine Bruder überhaupt verschwunden? Am besten wird Sidus jetzt, da er das Ross bereits aufgegeben hat, als Nächstes nach Envin suchen. Nicht auszudenken, was dieser Unglücksrabe sonst alleine anstellen wird.
Im Westflügel von Svetopluks Burg wälzt sich Llyle unruhig im Himmelbett. Seit die Drachenjäger aufgebrochen sind, hat sie in keiner Nacht mehr durchschlafen können, heute ist es besonders schlimm. Müde geworden vom rastlosen Umherwinden auf der Matratze erhebt sie sich und tritt an ein Fenster. Im Burghof sieht sie eine schwarzhaarige Dienstmagd vorüberziehen, an die sie ihren Blick mit regungsloser Miene heftet.
Sidus läuft seinem nassgeschwitztem
Weitere Kostenlose Bücher