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Wald

Wald

Titel: Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Waechter
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kann, was er mit eigenen Augen sieht. Vor ihm steht ein Mensch, dessen Gesicht genauso aussieht wie sein Eigenes – und dabei doch ein wenig anders.
    »Er versteht nicht!«
    Mit einem gezielten Schwerthieb hackt die Spiegelbilderscheinung den Ast ab, an dem die Haare des echten Sidus hängen, ohne dabei seine Ansprache zu unterbrechen. »Hält Er sich denn für etwas Besseres? Hält Er sich für besser als einen Drachen?«
    Sidus zieht wild an seinen Haaren herum.
    »Er sucht doch auch nur seinen eigenen Ruhm! Will Er nicht etwa allen beweisen, dass Er besser ist, schöner, stärker – eine Gottheit unter dem Gewürm der Menschen?«
    Sidus steht auf und kann seine rechte Hand befreien.
    »Komme Er mit! Ich werde Ihm etwas zeigen, dass Ihn interessieren wird!«, sagt das Spiegelbild, lässt das Schwert fallen, winkt Sidus zu, er solle folgen und läuft los, hinein in die Dunkelheit.
    Sidus reißt sich den letzten Teil des abgehackten Asts aus den Haaren, schreit kurz auf und sieht der sonderbaren Erscheinung schnaufend hinter her. Dann greift er nach seiner Waffe und rennt los.
     
    Llyle hat Envin mittlerweile zu Boden gedrückt. Mit ihrem Oberkörper liegt sie auf ihm, während Envins Gegenwehr gänzlich erloschen ist. Seinen Verstand hat Envin weggesperrt. Jeder ihrer Küsse kribbelt wie eine Feuersbrunst über sein Gesicht. Sein erster Ausflug in die Kunst der körperlichen Liebesbeweise verläuft ganz anders, als er sich das vorgestellt hatte.
    Besser.
    Das hätte niemand ahnen können, denkt er, bevor ihn ihre Liebkosungen wie ein sanftes Gift betäuben. Auch er wühlt nun seine Arme aus dem Schnee und umschlingt ihre Hüften mit seinen Händen. Zuerst zaghaft, dann packt er entschlossen zu.
     
    Sidus müht sich seinem Doppelgänger zu folgen, noch immer hat er keine leise Ahnung, was hier vor sich geht. Er muss auf der Hut sein. Die Sehnen an seiner rechten Hand quillen heraus, da er den Griff des Schwertes fest umschlungen hält. Dann bleibt der Mann in dem schwarzen Mantel mit einem Mal stehen und schiebt ein paar Äste beiseite.
    Sidus kann ihn jetzt einholen und will bereits mit der Waffe ausholen, um ihn auf Distanz zu halten, als er durch das Loch im Geäst sieht und erschrickt.
    »Sehe Er sich dieses Lustspiel an!«
    Das kann doch nicht sein?! Das darf nicht sein!
    Die Gedanken überschlagen sich in Sidus' Kopf. Solange bis die gekränkten männlichen Instinkte wie brodelnde Galle, von seinem Bauch ausgehend, den ganzen Körper durchfluten. Den grinsenden Kapuzenmann nimmt er schon nicht mehr wahr. Das Schwert ist nun zum Kampfe in eine andere Richtung erhoben. Seine Verzweiflung spuckt er schließlich in Form eines durchdringenden Schreis aus seinem Mund – und rennt los.
    Die beiden Turteltauben schrecken auf, wobei sich Envin den Kopf an Llyles Kinn stößt.
    Sidus' Richtstab wedelt wild über seinem Haupt, als er auf die beiden zu stürmt. Llyle kreischt.
    Envin, dessen Verstand sich langsam befreit, wird gerade bewusst, dass er eben mit der Verlobten seines Bruders im Schnee Liebkosungen geteilt hat. Gefolgt wird diese Erkenntnis innerhalb kürzester Zeit von dem Gedanken an die eigene Beerdigung, als er die im Mondschein blitzende Klinge auf sich zurasen sieht.
    Und dann der Schock.
    Simultan hüpfen die zwei Drachenjäger schweißgebadet von ihren Decken empor.
    Ein Traum, alles nur ein furchtbarer Traum! , denkt Envin, nachdem er realisiert, wo er sich gerade befindet. Die Feuerstelle, die Überreste der Holzscheite glühen leise vor sich hin. Ihre Ausrüstung, alles da. Alles ist gut. Sie befinden sich an ihrer Lagerstelle und haben geschlafen. Envin sieht zu seinem Bruder herüber. Dieser starrt ihn an ohne etwas zu sagen, wendet erschrocken den Blick ab und verkriecht sich wieder zwischen seiner Decke und den Fellen.
    Aber --- er kann doch nicht dasselbe geträumt haben wie ich, denkt Envin. Oder?

»Die Intrige«
     
    In der großen Seehandelsmetropole, weit im Westen von Svetopluks Fürstentum, durch die See getrennt, schreitet der Dux über die Zugbrücke, die in das große Kastell führt, in dem er seinen Regierungsgeschäften nachgeht. Er ist ein alter Mann, mehr als 60 Jahre auf dem Buckel, und trotzdem läuft er noch immer mit aufrechter Haltung. Er ist ein würdevoller Mann. Gekleidet in die kostbarsten und feinsten Importseidenstoffe, die schon von Weitem in ihrer bunten pfauenhaften Herrlichkeit erstrahlen. Denn er ist einer der reichsten Männer auf der Erde. Und er ist ein

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