Wald
unter einer weißen Decke versteckt.
Die Brüder schweigen auf ihrem Tagesmarsch als hätte man ihnen die Mundwerke zugemauert, erwähnen nicht mit einem Ton die Vorfälle der letzten Nacht oder das schlechte Wetter.
In der Abenddämmerung halten die Ritter Rast und suchen sich eine windgeschützte Kuhle um ein Lager aufzuschlagen und entzünden ein Feuer. Das alles können sie mittlerweile stumm erledigen wie ein eingespieltes Ehepaar. Es besteht somit noch immer kein Grund, das Schweigen zu brechen. Der Schneefall hat zwischenzeitlich eine Unterbrechung eingelegt, so als ob er die Kräfte für die nächste Angriffswelle sammelte, und Envin buddelt ein Loch in die knietiefe Kristalldecke, um die Feuerstelle zu errichten. Später rösten sie sich einen Hasen, den Sidus in der Abenddämmerung mit dem Bogen erlegt hat, und trinken zu viel von dem knapp gewordenen Honigwein. Vor allem Sidus schluckt mehr als er sollte, was dazu führt, dass er mit einem Male mit einem inbrünstigen Gelächter die feuerknisternde Stille durchbricht.
»Was hast Du?«, fragt Envin leise, in die Flamme blickend.
»Niecks! Ich haabe nischts! Ha ha --- Gar nichths.«
»Aber warum lachst Du so hämisch Bruder? Es gibt doch nicht viel Fröhliches zu berichten.«
»Nohch nich --- das ist ees ja geradhe! Abber --- ich dahchte an diässen Spielmahnn --- aus dem hohem Nordhän --- weißt Du?«
Envin antwortet nicht.
»Is ja auch ehgal Änwin, ob Du disch erinnärst ---«
Sidus plumpst mit seinem Oberkörper auf einen morschen Baumstamm und hängt in den Seilen wie ein Banner im Wind.
»Diesses Heldhenlied was der gesung'n hat --- wie hiess das gleisch noch mal? --- is auch nich so wichtisch! Jedenfalls wo diesa Kriegshärr den Troll verhaut und danach auch die Mutter vohn ihm --- also von dem Troll --- und das Lahnd befreit von dem --- Monst'r --- und spätha wurde er dann auf Drachenjahgd geschickt und hat --- hi hi --- dem Drach'n vooll umgehau'n --- das is mein Lieblingsg'schichschte. Ha!«
»Doch kannst dich auch noch daran erinnern, dass Dein Held nach dem Kampf mit dem Drachen an den Wunden des Kampfes elend krepiert?«
»Ach wass --- das is doch nur ein kleiner Schöhnheitfehla!«
Envin greift schweigend zu dem Lederbeutel an seinem Gürtel.
»Jetz denk dohch mahl Bruda! Übar uns werdhen sie späth'r auch solche Lieder schreiben --- das is' dohch der einzigeh Grund, warum ich die ganzhe Sache hier mach!«
Envin schmeißt ihm den Siegelring des toten Einsiedlers zu, den Sidus reflexartig mit der rechten Hand auffängt, was ihn selbst zu überraschen scheint.
»Wasn das?«
»Dieses Siegel trug der Alte bei sich«, sagt Envin trocken.
»Den alth'n Irr'n meinst duh?«
»Das ist das Wappen des Palamon.«
»Pah --- Pah --- Pahlamohn? Ich dachte den hat der Drache gefress'n.«
»Du warst es, der ihn gerichtet hat Bruder. Weißt Du nicht mehr?«
»Ach wass --- dahs war niemahls der edle Rittah! Der Schuft hat den Ring geschtohlen! Ha!«
Die Funken lodern und wabern vor sich hin. Sidus rollt seinen Körper von dem Baumstamm, landet auf allen Vieren und krabbelt mit dem Ring in der Hand zu Envin.
»Isch habe nur Gerschtigkeiht geübt!«, sagt er und streckt seinem Bruder das Siegel hin. Dieser bleibt stumm und sieht zu Boden. Dann schaut er plötzlich auf.
»Was war das?«
»Isch habs auch gehört!«
Zweiter Teil
- Leben -
»Esurio draconis«
In der einzigen Schrift zum Thema Drachen, die Envin vor dem Aufbruch im Kloster der Weißen Mönche finden konnte, hatte ein antiker Gelehrter Folgendes beschrieben:
»Ein Drache, oder draco, wie der Lateiner zu sagen pflegt, ist eine ungeheuer große Schlange, die sich in abgelegenen Wüsteneien, Bergen und Steinklüften aufzuhalten pflegt, und Menschen und Vieh großen Schaden zufügt. Man findet ihrer vielerlei Gestalten und Arten; denn etliche sind geflügelt, andere nicht; etliche haben zwei, andere vier Füße, Kopf und Schwanz aber sind in Schlangenart. Verständige Männer, die sich in der Lehre des bios, das heißt des Lebens, verstehen, halten davor, der Drache sei eine unordentliche Missgeburt, welche durch Vermischung allerlei Samen von erwürgten Tieren, da ein jedes etwas von seinem Geschlecht an einem solchen scheußlichen Tier hervor bringt, gezeugt werde. Erwiesen ist es auch, dass ein solcher Ort, wo sich Drachen aufhalten, reich von Gold, Silber und anderen Erze ist, und daher diese Tiere sich von denen giftigen schwefligen Dünsten nähren, und so
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