Wald
sich rot, während er fester zudrückt.
Sidus fängt sich und kann seine Arme befreien. Er schafft es Envin an den Schultern zu greifen und seinen Körper gegen den des Angreifers zu stemmen. Im Kampf geraten sie ins Rollen, bis Envin, mit dem Rücken voran, im Feuer landet. Nun kommt Sidus mit seinen Händen an Envins Hals und kann ebenfalls zudrücken. Envin sieht nur noch Funken, die um ihn herumfliegen, bis über ihm das Gesicht des Bruders im gleisenden Licht auftaucht.
»Was hast Du Envin?«
Envin schrickt zusammen. Fest umklammert er das Feuerholz in seinem Armen. Sidus hat ihn aus seinen Träumereien herausgerissen. Langsam setzt er sich in den Schnee und realisiert, dass sich seine Gedanken für ein paar Augenblicke verselbständigt haben. Er atmet einen tiefen Luftzug. Ein und aus. Es ist besser, dass er ein Schwächling ist, und seinen Bruder nicht angegriffen hat, denkt er. Eine Chance zu gewinnen hätte er sowieso nicht. Und dennoch ---
So kann es nicht ewig weiter gehen.
Die Asche zerfällt und seine Zeichnung wird endgültig von der Glut gefressen.
So wie mein ganzes Leben, denkt er. Eigentlich bin ich bereits tot.
Irgendwann, mitten in der Nacht – es hat wieder zu schneien begonnen – sieht Envin sich um. Er hat die ganze Zeit kein Auge zugetan. Seine Gedanken haben ihn nicht schlafen lassen. Dafür hat er eine Entscheidung getroffen.
Leise und beruhigend hört er die Atmung seines Bruders. Er schläft. Das ist gut. Vorsichtig richtet Envin sich auf. Die Feuerstelle glüht friedlich vor sich hin, während er behutsam die Decken und Felle zusammenbindet. Dann greift Envin zu seinem Brustpanzer, streift ihn sich über.
Das Quietschen des Leders lässt ihn zusammenfahren. Er blickt zu Sidus. Keine Regung. Zum Glück. Bedächtig schließt Envin schließlich die Schnallen des Panzers. Nun hebt er den Samtmantel auf, den er einigermaßen geräuschlos umbinden kann. Er greift mit einer Hand das Deckenbündel, mit der anderen das Schwert und die Satteltasche und läuft los. So sehr er sich auch bemüht leise zu sein, schmatzt der Schnee unter jedem seiner Schritte bedrohlich auf. Ganz langsam arbeitet er sich Zoll um Zoll voran.
Hauptsache Sidus erwacht nicht, bevor ich nicht mindestens eine Meile entfernt ist. Soll er doch alleine sterben. Ich werde klüger sein als er, denkt Envin.
Er dreht sich noch einmal um. Sidus liegt regungslos am Boden. Ob er ihn jemals wiedersehen wird? Ob er ihn jemals wiedersehen will?
Envin läuft weiter. Er will weg. Weit weg. Seine Schritte werden jetzt schneller. Er merkt dabei nicht, dass Sidus die Augen einen Spalt öffnet.
Eine ganze Weile sieht Sidus seinem Bruder schweigend hinter her und denkt nach. Als Envin beinahe aus seinem Blickfeld verschwunden ist, richtet er seinen Oberkörper auf.
»Wohin gehst Du Envin?«
Envin zuckt zusammen, wendet sich aber nicht um.
»Willst Du zurück in die Burg? Zu den Weibern!«
Envin läuft weiter. Sidus steht auf.
»Ha! Geh nur. Auf einen Angsthasen wie dich kann ich verzichten!«
Envin verschwindet zwischen den Bäumen – in den Tiefen des Waldes. Die Worte seines Bruders kann er bereits nicht mehr hören.
»Mit dem Drachen werde ich auch alleine fertig! Verschwinde! Ja, ja --- geh zurück zu Llyle und male ihr Deine Blumenwiesenbilder! Hahaha!«
Sein Lachen verhallt in der Nacht. Während Sidus' Körper sich nach vorne biegt, wie unter Schmerzen, wandelt sich das höhnende Gelächter in ein jämmerliches Weinen.
»Du Hund, Envin! Denkst Du denn, Du bist der Einzige, der liebt! Was bist Du für ein Bruder!«
Sidus sinkt auf seine Knie und schlägt in den Schnee.
»Willst Du mich umbringen? Ich liebe sie auch! Ich liebe sie auch! Ja, jetzt staunst Du Envin ---«
Er brüllt in die Leere, die ihm nichts erwidert.
»Auch ich liebe sie! Verstehst Du?«
Nichts. Nur Schnee. Schnee. Schnee. Schnee.
»Verwirrung«
Als Envin am nächsten Morgen erwacht, findet er sich noch immer in Dunkelheit wieder.
Wo ist er? Was ist passiert?
Langsam erinnert er sich wieder. Daran wie er in der Nacht seinen Bruder im Wald zurückließ, wie er sich danach durch den Schneesturm kämpfte und wie er schließlich erschöpft zusammenbrach und unter einem niedrigen Nadelbaum Schutz gesucht hat. Und jetzt?
Er liegt immer noch unter dem Baum. Vorsichtig bewegt er sich. Schnee fällt von seinem Rücken. Er streckt einen Arm aus und tastet ins Dunkel. Nadeln. Vor ihm sind überall Nadeln. Envin schüttelt seinen Körper. Immer
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