Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wald

Wald

Titel: Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Waechter
Vom Netzwerk:
mehr Schnee fällt von allen Seiten auf ihn herab. Dann kann er sich befreien. Er richtet sich auf. Das Gewicht seines Mantels zieht ihn nach unten. Der Schnee hat den Samt aufgeweicht und das Volumen verdreifacht.
    Envin sieht sich um und erkennt nun, wie er geschlafen hat. Er lag mit dem größten Teil seines Körpers unter den Ästen des Baums, mit dem Gesicht zum Stamm gewendet. Nur der Rücken schaute heraus. Im Laufe der Nacht wurde er mitsamt des ganzen Baumes eingeschneit.
    Envin hebt sein Gepäck auf, schüttelt auch hiervon das weiße Übel ab und macht sich auf den Weg. Nur wohin? Erst einmal bergabwärts. Das kann nicht verkehrt sein.
     
    Sidus streift alleine durch den Wald. Ein sanftes Lächeln liegt auf seinen Lippen, beinahe so, als würde er sich freuen, dass er seinen Bruder los ist. Trotzdem läuft er in geduckter Stellung, als würde er jeden Moment den Feind erwarten. Vielleicht freut er sich auch deshalb.
    Er selbst weiß es jedenfalls nicht. Egal. Immer weiter ziehen. Nicht aufgeben.
    Pausen muss er jetzt keine mehr machen. Der Feigling ist weg.
    Ob seine Gedanken verwirrt sind? Woher soll er das wissen!
    Ob er gerade die Stimme des Alten gehört hat? Ich bin so wie Du! Das geht gar nicht. Der Alte ist tot, denkt er und lacht. Lacht wie so oft. Zu oft. Und zieht weiter.
    Lächerlich. Der Drache ist hier. Genauso wie er selbst. Das weiß er.
    Geradeaus. Geradeaus. Geradeaus.
     
    Envin zieht hinab. Stolpert erschöpft durch den Schnee. Mit seinem Mantel bleibt er an einem Gestrüpp hängen und stolpert. Er steht wieder auf, zerrt und reißt, und kommt erst frei, als ein Stück von dem Samt abreißt und in den Dornen hängen bleibt. Envin läuft weiter. Dann, als sich vor ihm eine Felswand auftürmt, kommt er zum Stehen. Eine Weggabelung.
    Wohin soll er nun gehen? Er setzt sich in den Schnee und atmet tief durch. Er war hier schon an dieser Stelle, ganz sicher. Envin dreht seinen Kopf nach links und dann nach rechts um etwas zu entdecken, das ihm bekannt vorkommt. Auf der einen Seite sieht er viel Schnee, unter dem vereinzelt Bäume herausragen, und auf der anderen Seite sieht er – viel Schnee, unter dem vereinzelt Bäume herausragen.
     
    Nacht fällt über den Wald. Es folgt ein neuer Tag. Und auf den Tag folgt wieder die Nacht. Das wiederholt sich, solange bis Sidus den Überblick verliert – darüber, wie lange er nun schon umherzieht, den Feind angeblich immer um ihn herum.
    Wenn auch nicht zu sehen.
    Um sicher zu gehen, dass das Biest nicht hinter dem Baum vor ihm versteckt ist, schmeißt er sich mit gezogenem Schwert auf den Stamm.
    Falscher Alarm. Er dreht sich. Und schmeißt sich, Klinge voran, auf den Boden. Auch falscher Alarm. Er sieht sich um. Augen auf.
    Garfer tropft aus seinem Mund. Sidus freut sich. Stimmt ein Kampfgeschrei an und stürmt los.
     
    Auch Envin zieht weiter durch den Wald. Seine Kräfte gehen zur Neige. Seit Tagen ernährt er sich von Wurzeln, die er mühsam ausgraben muss.
    Noch immer ist der Schnee um ihn herum wie ein Meer, und nirgends Land in Sicht. Bis auf diesen Morgen, an dem eine große Felswand vor seinen Augen auftaucht.
    Felswand.
    Verwirrt bleibt er vor dem Massiv stehen und hält inne. Das kann doch nicht sein? Ist er nicht die ganze Zeit hinab gewandert? Zumindest die meiste Zeit. Oder? Er kann doch unmöglich wieder an derselben Stelle angekommen sein, an der er bereits Tage zuvor vorbeigekommen ist. Er hat eine Idee, wie er beweisen kann, dass er noch nicht hier an diesem Ort war. Alles andere wäre auch Unsinn. Dieser Wald mag ein Labyrinth sein und vielleicht läuft er sogar im Kreis, aber – das kann einfach nicht dieselbe Felswand sein, an der er sich entscheiden musste, in welche Richtung er weiterziehen sollte.
    Envin sieht den Hügel an und läuft entschlossen hinauf. Wo käme er hin, wenn er sich von diesem widerlichen Wald an der Nase herumführen lassen würde. Er sieht einen Strauch und untersucht ihn. Also! Kein Fetzen von seinem Mantel zu finden. Er läuft weiter. Da, noch ein Gestrüpp! Er schaufelt den Schnee zur Seite und greift mitten in die Dornen. Dann hebt er das Stück Samt in die Luft. Nicht wirklich gut erhalten, aber dennoch – unverkennbar ein Zipfel von seinem Mantel.
    »Ich hasse diesen Wald!«, bemerkt er wehleidig und lässt sich in den weißen Brei fallen.
     
    Sidus sitzt wie angekettet an einem Baum und beobachtet das Hereinbrechen der Nacht. Der Feind ist ganz nah. Er spürt das. Ist doch schön. Er wird ein

Weitere Kostenlose Bücher