Walden Ein Leben mit der Natur
er von Gebirgen umgeben, von achilleischen Ufern, deren Gipfel seinen Busen beschatten und sich darin spiegeln, vermutet man eine entsprechende Tiefe in ihm. Ein sanftes und glattes Ufer hingegen zeugt von innerer Seichtheit. An unserem Körper deutet eine kühn hervorspringende Stirn auf
entsprechende Gedankentiefe hin. Auch am Eingang unserer Buchten, der persönlichen Neigungen, findet sich eine
Sandbank; für eine Weile laufen wir dann in einen solchen Hafen ein, in dem wir, teilweise von Land umschlossen, festsitzen. Für gewöhnlich sind diese Neigungen nicht
willkürlich: Form, Größe und Richtung werden von den
Vorgebirgen des Ufers vorgegeben, den alten Höhenlinien.
Nimmt die Sandbank mit der Zeit durch Stürme, Gezeiten und Strömungen zu oder das Wasser ab, so daß sie die Oberfläche erreicht, dann wird, was anfangs nichts als eine Einbuchtung des Ufers war, in der ein Gedanke vor Anker lag, zu einem Binnensee. Abgetrennt vom Ozean stellt der Gedanke seine eigenen Bedingungen, schlägt von Salz- auf Süßwasser um, aus Frischwasser wird vielleicht totes Meer oder Sumpf. Wäre es möglich, daß bei der Ankunft eines jeden Lebewesens
irgendwo eine solche Sandbank an die Oberfläche gekommen ist? Wir sind wahrlich schlechte Steuermänner, daß unsere Gedanken zum großen Teil vor einer hafenlosen Küste
seewärts liegen, nur der Krümmungen lyrischer Buchten
kundig. Oder aber sie steuern auf öffentliche Einlaufhäfen los, um in den Trockendocks der Wissenschaft zu liegen, zur
Neuausrüstung für die Welt, ohne je von natürlichen
Strömungen geformt zu werden.
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Was den Zu- oder Abfluß des Waldensees betrifft, so habe ich außer Regen, Schnee und Verdunstung nichts gefunden. Mit einem Thermometer und einer Schnur ließe sich aber vielleicht mehr ausrichten, denn wo Wasser in einen See fließt, ist es im Sommer am kältesten und im Winter am wärmsten. Als die
Eishauer 1846/47 hier zugange waren, schickten die Männer, die das Eis am Ufer in Empfang nahmen, eines Tages die
Blöcke zurück, da sie nicht dick genug waren, um mit dem Rest ordentlich geschichtet zu werden. So entdeckten die Eishauer, daß das Eis an einer kleinen Stelle zwei bis drei Zoll dünner war als sonst, woraus sie folgerten, daß es dort einen Zufluß gab. Sie schoben mich auf eine Eisscholle hinaus, um mir noch eine andere Stelle zu zeigen, die sie für ein »Sickerloch«
hielten, durch das Wasser aus dem See unter einem Hü gel hindurch in eine benachbarte Wiese floß. Es handelte sich um eine kleine Aushöhlung in zehn Fuß Tiefe. Ich kann jedoch versichern, daß der See noch nicht gekittet werden muß, solange kein größeres Leck als dieses auftritt. Einer schlug vor, die Verbindung des »Sickerlochs« zu der Wiese dadurch
nachzuweisen, daß man farbiges Puder oder Sägemehl über das Loch streue und an der Quelle auf der Wiese einen Filter anbringe, der die Partikel, die die Strömung mit sich führe, auffangen würde.
Während meiner Untersuchungen wogte das Eis bei
schwachem Wind wie Wasser. Man weiß, daß man auf dem Eis keine Wasserwaage benutzen kann. Fünfzehn Fuß vom Ufer
entfernt betrugen die größten Schwankungen, die man an einer auf eine Meßlatte auf dem Eis gerichtete Wasserwaage
ablesen konnte, dreiviertel Zoll, obwohl das Eis fest mit dem Ufer verbunden schien. Wahrscheinlich waren sie zur Mitte hin noch größer. Wer weiß, welch hohe Schwankungen der
Erdkruste man feststellen könnte, wenn unsere Instrumente nur fein genug wären? Stellte ich zwei Füße der Wasserwaage auf das Ufer und den dritten auf das Eis und blickte über das letztere hinweg, machte eine minimale Hebung oder Senkung des Eises einen Unterschied von mehreren Fuß an einem
Baum auf der anderen Seite aus. Als ich zum Sondieren Löcher
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ins Eis schnitt, befanden sich drei bis vier Zoll Wasser auf dem Eis unter dem tiefen Schnee, der es nach unten drückte. Das Wasser begann jedoch sofort in meine Löcher zu laufen und lief so in Strömen zwei Tage weiter ab, bis es das Eis am Rand zum Schmelzen gebracht hatte. Das trug im wesentlichen dazu bei, die Oberfläche des Sees trockenzulegen; denn indem das Wasser ablief, hob es das Eis und trieb es auf. Es war der gleiche Effekt, der entsteht, wenn man ein Loch in den Boden eines Schiffes bohrt, um das Wasser ablaufen zu lassen. Wenn ein solches Loch zufriert, es später regnet und schließlich ein erneuter Frost eine frische glatte Eisdecke über alles
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