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Walden Ein Leben mit der Natur

Walden Ein Leben mit der Natur

Titel: Walden Ein Leben mit der Natur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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Dinge benutzen. Wie
    aber kommt es, daß der Zivilisierte, der im Genuß dieser Möglichkeiten steht, gewöhnlich arm genannt wird, während der Wilde, der sie nicht hat, als Wilder reich ist? Wenn behauptet wird, daß die Zivilisation für den Menschen einen Fortschritt bedeutet - und ich glaube, daß sie das ist, obwohl nur der Weise ihre Vorteile wirklich zu nutzen versteht -, dann müßte auch zu beweisen sein, daß sie ohne höhere Kosten bessere Wohnungen geschaffen hat. Die Kosten eines Gegenstandes aber möchte ich die Lebenskraft nennen, die man für ihn eintauschen muß, über kurz oder lang. Der Preis für ein Haus in unserer Gegend beträgt durchschnittlich vielleicht achthundert Dollar. Schätzt man den Tagelohn eines Arbeiters auf einen Dollar - denn einer verdient mehr, der andere weniger -, braucht ein Arbeiter, um diese Summe aufzubringen, zehn bis fünfzehn Jahre, selbst wenn er keine Familie zu ernähren hat; er wird im allgemeinen also bereits über die Hälfte seines Lebens hinaus sein, ehe er seinen Wigwam erwarben hat. Bezahlt er statt dessen Miete, so hat er damit nur das schlimmere Übel
    gewählt. Hätte der Indianer klug gehandelt, seinen Wigwam unter solchen Umständen gegen einen Palast einzutauschen?
    Vielleicht scheint es, als sähe ich den einzigen Vorteil eines solchen überflüssigen Besitzes darin, eine Anlage für die Zukunft zu haben, um, soweit es den einzelnen angeht, die eigene Beerdigung finanzieren zu können. Aber vielleicht muß der Mensch gar nicht für seine eigene Beerdigung aufkommen.
    Auf jeden Fall bringt mich das zu einem wichtigen Unterschied zwischen dem Zivilisierten und dem Wilden. Zweifellos soll es unserem Wohlergehen dienen, wenn das Leben eines
    zivilisierten Volkes zur Institution erhoben wird, welcher das
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    Leben des Einzelnen fast gänzlich einverleibt wird, um das derart zu erhalten und zu vervollkommnen. Doch möchte ich zeigen, unter welchem Opfer dieser Vorteil zur Zeit erworben wird, und vorschlagen, vielleicht auf eine Art zu leben, die uns den ganzen Vorteil sichert, ohne die Nachteile mit sich zu bringen. Was treibt ihr unter euch das Sprichwort: »Die Armen habt ihr immer bei euch« oder »Die Väter haben Heringe
    gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf
    geworden« ?
    »So wahr als ich lebe«, spricht der Herr, »solch Sprichwort soll nicht mehr unter euch gehen in Israel.«
    »Denn siehe, alle Seelen sind mein; des Vaters Seele ist sowohl mein als des Sohnes Seele. Welche Seele sündigt, die soll sterben.«
    Wenn ich mir so das Leben meiner Nachbarn, der Bauern von Concord, ansehe, die bestimmt nicht schlechter dran sind als alle übrigen Berufsklassen, dann zeigt sich meistens, daß sie sich zwanzig, dreißig, ja vierzig Jahre lang abrackern mußten, um wirklich Eigentümer ihrer Farmen zu werden, die sie
    gewöhnlich verschuldet geerbt oder mit geliehenem Geld
    gekauft haben. Ein Drittel dieser Plackerei können wir ruhig als den Preis für ihr Haus ansehen, das jedoch in der Regel noch nicht bezahlt ist. Manchmal übersteigen die Schulden sogar den Wert der Farm, und die Farm selbst wird zu einer einzigen großen Belastung. Und doch wird sich immer noch ein Erbe finden, dem das alles »nichts Neues« ist, wie er sagt. Auf Anfrage bei der Steuerbehörde erfuhr ich zu meinem
    Erstaunen, daß man mir nicht ohne weiteres ein Dutzend Leute nennen könne, deren Farmen schuldenfrei wären. Wenn man die Geschichte dieser Heimstätten kennenlernen will, dann muß man sich bei der Bank erkundigen, bei der sie verpfändet sind.
    Der Mann, der seinen eigenen Hof mit seiner Arbeit tatsächlich abbezahlt hat, ist so selten, daß jeder Nachbar ihn kennt. Es ist fraglich, ob es in Concord drei solcher Männer gibt. Was man von den Kaufleuten behauptet, nämlich daß die Mehrzahl von ihnen, etwa siebenundneunzig von hundert, auf keinen grünen Zweig kommen kann, gilt ebenso von den Farmern. Von den
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    ersteren bemerkte einer allerdings treffend, daß ein großer Teil ihrer Fehlschläge nicht rein finanziellen Schwierigkeiten, sondern bloß dem Umstand zuzuschreiben sei, daß sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, weil das unbequem ist.
    Das aber bedeutet das Versagen ihres moralischen Charakters, was der Sache ein wesentlich schlimmeres Gesicht gibt und nebenbei darauf hindeutet, daß möglicherweise nicht einmal die drei Obenerwähnten ihre Seelen gerettet, ja vielleicht sogar in einem noch schlimmeren Sinne bankrott

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