Walden Ein Leben mit der Natur
ergibt überhaupt keinen Sinn): »Wenn du dich mit dem Gedanken trägst, einen Bauernhof zu
erwerben, überlege es dir gut und gründlich, damit du nicht voreilig kaufst. Spare dir auch nicht die Mühe, ihn anzusehen, und glaube nicht, es genüge, einmal um ihn herumzugehen. Je öfter du hingehst, desto besser wird er dir gefallen, wenn er das Richtige ist.« Ich glaube nicht, daß ich voreilig kaufen, sondern zeitlebens um den Grund herumgehen und erst auf ihm
begraben sein werde, - damit er mir zu guter Letzt um so besser gefalle. Mein nächstes Experiment dieser Art war das gegenwärtige, das ich ausführlicher zu beschreiben die Absicht habe. Der Bequemlichkeit halber fasse ich die Erfahrungen zweier Jahre in eins zusammen. Wie gesagt, ich gedenke nicht, eine Ode an den Weltschmerz zu schreiben, sondern vielmehr so herzhaft zu prahlen wie ein Gockelhahn auf dem Mist am Morgen, und sei es nur, um die Nachbarn aufzuwecken.
Als ich endlich meinen Wohnsitz in den Wäldern nahm - es war zufällig am Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli des Jahres 1845 -, das heißt, als ich auch die Nächte dort zu verbringen begann,
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war mein Haus noch nicht für den Winter fertig, sondern vorläufig bloß ein Schutz gegen den Regen. Es hatte noch keinen Kamin, und die Wände waren noch nicht verputzt.
Zwischen den rohen, verwitterten Balken waren breite Ritzen, die nachts kühle Luft hereinließen. Die senkrechten weißen Eckpfosten und die frisch gehobelten Tür- und Fensterrahmen gaben ihm ein luftiges, sauberes Aussehen, besonders
morgens, wenn das Holz vom Tau getränkt war. Das erweckte in mir die Vorstellung, als würde bis mittags das frische Harz heraustreten. In meiner Phantasie behielt es diesen
morgendlichen Charakter den ganzen Tag hindurch und
erinnerte mich dadurch an eine Berghütte, der ich ein Jahr zuvor einen Besuch abgestattet hatte. Es war dies eine luftige, unbeworfene Holzhütte, die einem wandernden Gott als
Herberge hätte dienen können und wo eine Göttin ihre Kleider im Wind flattern lassen mochte. Der Wind, der über mein Haus hinwegstrich, glich jenem, der über die Berge fegt. Er trug mir nur gebrochene Klänge zu, den himmlischen Teil seiner
irdischen Musik. Der Morgenwind weht ohne Unterlaß, das Lied der Schöpfung ist nicht unterbrochen, doch sind es wenige, die es hören. Der Olymp ist nichts anderes als die Oberfläche der Erde, allüberall.
Die einzige Behausung, deren Eigentümer ich bisher gewesen, war - abgesehen von einem Boot - ein Zelt, das ich gele gentlich auf Ausflügen im Sommer benutzte. Es liegt noch immer zusammengerollt auf meinem Dachboden; das Boot war von Hand zu Hand gegangen und schließlich den Strom der Zeit hinabgetrieben. Jetzt, mit diesem bodenständigeren Obdach über mir, hatte ich in bezug auf meine Seßhaftigkeit in der Welt einen gewissen Fortschritt gemacht. Dieser Bau war trotz seines losen Gefüges wie durch Kristallisation um mich entstanden und blieb nicht ohne Einfluß auf den Erbauer. Er wirkte in seinen Umrissen ein wenig skizzenhaft. Um frische Luft zu schöpfen, brauchte ich nicht ins Freie zu gehen, denn die Atmosphäre im Innern hatte nichts von ihrer Frische verloren. Ich saß weniger innerhalb meiner vier Wände, als vielmehr hinter vier Brettern, selbst bei stärkstem Regen. Die
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Harivamsa sagt: »Eine Wohnung ohne Vögel ist wie Fleisch ohne Würze.« Meine Wohnung war nicht von dieser Art, denn ich war plötzlich zum Nachbarn der Vögel geworden. Und das nicht, weil ich einen gefangenhielt, sondern weil ich mich selbst in einem Käfig zu ihnen gesetzt hatte. Das brachte mich nicht nur denen näher, die für gewöhnlich unsere Gärten und
Obstgärten bevölkern, sondern auch den ungezähmten
erregenden Sängern des Waldes, die nur selten dem Städter ihr Lied singen - der Walddrossel, dem Kardinal, der
Nachtschwalbe, der Wilsondrossel, dem Feldammerfink und vielen anderen.
Mein Haus stand am Rande eines kleinen Sees, der etwa
anderthalb Meilen südlich der Ortschaft Concord und etwas höher als sie in der Mitte ausgedehnter Waldungen zwischen jenem Ort und Lincoln lag. Etwa zwei Meilen entfernt befand sich unser einziges berühmt gewordenes Feld, das Schlachtfeld von Concord. Ich lag so tief in den Wald gebettet, daß das gegenüberliegende Ufer, eine halbe Meile entfernt und wie alles übrige bewaldet, meinen Horizont begrenzte. Wenn ich
während der ersten Wochen frühmorgens den See betrachtete, erschien er mir immer
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