Walden Ein Leben mit der Natur
größte Kunst. Jeder Mensch hat die Aufgabe, sein Leben auch in allen Einzelheiten so zu gestalten, daß es seiner Betrachtung in der erhabensten und entscheidendsten Stunde standhalten kann.
Und haben wir die geringen Kenntnisse verschmäht oder
aufgebraucht, die uns zuteil wurden, geben uns noch die Weissagungen Aufschluß darüber, wie das geschehen könnte.
Ich bin in den Wald gezogen, weil mir daran lag, bewußt zu leben, es nur mit den wesentlichen Tatsachen des Daseins zu tun zu haben. Ich wollte sehen, ob ich nicht lernen könne, was es zu lernen gibt, um nicht, wenn es ans Sterben ging, die Entdeckung machen zu müssen, nicht gelebt zu haben. Ich wollte kein Leben führen, das eigentlich kein Leben ist, dazu
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war es mir zu kostbar. Ich wollte intensiv leben, dem Leben alles Mark aussaugen, so hart und spartanisch leben, daß alles die Flucht ergreifen würde, was nicht Leben war; wollte mit großem Schwung knapp am Boden mähen, um das Leben in
die Ecke zu treiben und es auf die einfachste Formel
zurückzubringen. Wenn es sich als erbärmlich erwies, dann wollte ich seine ganze Erbärmlichkeit kennenlernen und sie der Welt kundtun. War es aber herrlich, so wollte ich es aus eigener Erfahrung kennen und imstande sein, einen wahrheitsgetreuen Bericht davon zu geben. Denn die meisten Menschen scheinen sich in einer merkwürdigen Unklarheit darüber zu befinden, ob es von Gott oder vom Teufel stammt, und haben etwas voreilig den Schluß gezogen, daß es die Hauptbestimmung des
Menschen auf Erden sei, »Gott zu preisen und sich seiner ewig zu erfreuen«.
Obgleich es im Märchen heißt, daß wir schon vor langer Zeit in Menschen verwandelt wurden, führen wir immer noch ein so erbärmliches Leben wie die Ameisen. Wie die Pygmäen liegen wir mit den Kranichen im Krieg, begehen einen Irrtum nach dem anderen, stecken einen Schlag nach dem anderen ein und
vergeuden unsere besten Kräfte mit überflüssigen,
vermeidbaren Nichtswürdigkeiten. Unser ganzes Leben
verzetteln wir in Kleinigkeiten. Ein anständiger Mensch braucht selten mehr als seine zehn Finger zum Rechnen. Im äußersten Fall verwendet er noch seine zehn Zehen dazu, alles übrige lasse er bleiben. Einfachheit, Einfachheit, Einfachheit! Befasse dich mit zwei oder drei Angelegenheiten, aber nicht mit hundert oder tausend. Statt einer Million zähle ein halbes Dutzend und schreibe dir deine Rechnungen auf den Daumennagel! In der ständig wechselnden Flut unseres zivilisierten Lebens muß man sich auf Stürme, Flauten, Treibsand und tausenderlei andere Hindernisse gefaßt machen; man muß mit kühler
Berechnung vorgehen, wenn man nicht Schiffbruch erleiden, auf den Grund sinken und den Hafen nie erreichen will. Man muß schon ein sehr genauer Rechner sein, wenn man etwas erreichen will. Darum vereinfache, vereinfache! Nimm, wenn nötig, am Tag statt dreier Mahlzeiten nur eine, statt hundert
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Gerichten fünf. Auch alles andere schränke demgemäß ein.
Unser Leben ist wie der deutsche Staatenbund aus kleinen Staaten zusammengesetzt, deren Grenzen sich ewig
verändern, so daß nicht einmal ein Deutscher sagen kann, wo sich zur Zeit die Schlagbäume befinden. Selbst der Staat mitsamt seinen sogenannten »Inneren Verbesserungen«, die übrigens alle rein äußerlich und oberflächlich sind, ist nichts anderes als eine schwerfällige, überdimensionale, durch eigene Fallen zu Fall gebrachte, von Luxusgütern und kopflosen Ausgaben zugrunde gerichtete Einrichtung, der es genau wie den Millionen Haushalten im Land an richtiger Planung und einem würdigen Ziel fehlt. Das einzige Heilmittel für beide wäre unerbittliche Sparsamkeit, eine einfache, mehr als spartanische Lebensweise und höhere Ziele. Wir leben zu schnell. Wir glauben, es sei wesentlich für unser Land, Handel zu treiben, Eis zu exportieren, zu telegrafieren und viele Meilen in einer Stunde zurückzulegen, ohne zu fragen, ob auch der einzelne das tut oder nicht. Ob wir aber wie Paviane oder wie Menschen leben sollen, das fragt sich. Wenn wir keine Schwellen verlegen und Schienen schmieden und unsere Tage und Nächte der
Arbeit widmen, sondern darangehen würden, an unserem
Leben arbeiten, um dieses zu verbessern, wer würde dann die Eisenbahnen bauen? Und wenn keine Eisenbahnen gebaut
würden, wie sollten wir dann zur rechten Zeit in den Himmel kommen? Wenn wir aber zu Hause bleiben und uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern, wer braucht dann noch die
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