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Walden Ein Leben mit der Natur

Walden Ein Leben mit der Natur

Titel: Walden Ein Leben mit der Natur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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entwickelten sich wie durch Zauber zu anmutigen grünen Zweigen von
    Daumendicke. Sie wuchsen so unbekümmert und nahmen ihre zarten Gelenke so sehr in Anspruch, daß ich manchmal, wenn ich am Fenster saß, obwohl sich kein Lüftchen regte, einen frischen grünen Zweig, von seinem eigenen Gewicht
    gebrochen, wie einen Fächer zur Erde fallen hörte. Im August nahmen die vielen Beeren, die in ihrer Blütezeit eine Menge wilder Bienen angelockt hatten, allmählich ihr helles samtenes Rot an; auch unter ihrer Last bogen sich die zarten Zweige wieder und brachen ab.
    Während ich an diesem Sommernachmittag an meinem
    Fenster sitze, kreisen Habichte über der Lichtung. Die Luft ertönt vom Schwirren der wilden Tauben, die zu zweit und zu dritt mein Blickfeld durchqueren und die Zweige der Weiß fichte hinter meinem Haus bevölkern. Ein Fischadler taucht in den spiegelglatten See und fördert einen Fisch zutage. Ein Nerz stiehlt sich aus dem Sumpf und fängt einen Frosch am Ufer.
    Das Schilf biegt sich unter der Last der Rohrsänger, die unruhig auf- und niederfliegen, und seit einer halben Stunde dringt, einmal leiser, einmal lauter, wie der Flügelschlag eines Rebhuhns, das Rattern des Zuges an mein Ohr, der Reisende aus Boston aufs Land bringt. Denn ich lebte nicht so weit weg von der Welt wie jener Bub, der, so erzählte man mir, auf eine Farm weit östlich der Stadt geschickt wurde, von wo er bald davonlief, um abgezehrt und krank vor Heimweh wieder zu Hause anzukommen. Er hatte noch nie einen so öden und
    abgelegenen Ort erlebt. Kein Mensch war da, und man konnte noch nicht einmal die Züge pfeifen hören! Ich bezweifle, daß es heute noch einen solchen Ort in Massachusetts gibt:
    -1 1 1 -

    »Ja, so ein schneller Pfeil der Eisenbahn
    Hat unser Dorf zum Ziel erwählt, und über
    Die stille Ebene klingt es fröhlich - Concord.«
    Die Fitchburg-Bahn berührt den See ungefähr fünfhundert Yard südlich meiner Behausung. An ihrem Damm entlang gehe ich gewöhnlich in den Ort; sie bildet gleichsam das Band zwischen mir und der menschlichen Gesellschaft. Die Männer der
    Güterzüge, die die Strecke befahren, grüßen mich wie einen alten Bekannten. Sie sehen mich so häufig, daß sie mich offenbar für einen Eisenbahner halten. Und etwas in dieser Art bin ich ja auch: wie gerne wäre ich ein Gleisarbeiter - irgendwo an der Kreisbahn der Erde.
    Der Pfiff der Lokomotive durchdringt meine Wälder Sommer und Winter. Er klingt wie der Schrei des Habichts über dem Hof eines Farmers und kündigt mir an, daß eine Menge rastloser Kaufleute aus der Stadt und unternehmungslustige Händler aus dem Norden durch unsere Gegend kommen. Wo sie sich unter einem Horizont begegnen, rufen sie einander warnend ihr Bahn frei! zu, daß man es manchmal im Umkreis von zwei Städten hören kann. Hier, Landleute, kommen eure Kolonialwaren, da ist euer Vorrat! Und noch ist kein Farmer so unabhängig, daß er nein dazu sagen könnte. Hier, euer Geld dafür! antwortet der Pfiff des Landmanns. Bauholz rennt gleich Sturmböcken in turmhohen Ladungen gegen die Mauern der Stadt, Holz für genügend Stühle, um alle Müden und Schwerbepackten darauf zu setzen, die es innerhalb ihrer Mauern gibt. Mit einer solch wuchtigen, hölzernen Höflichkeit bietet das Land der Stadt seinen Stuhl an. Alle indianischen Heidelbeerhügel werden geplündert, alle Preiselbeerwiesen kahl gepflückt für die Stadt.
    Nach oben fährt die Baumwolle, nach unten das Gewebe; nach oben fährt die Seide, nach unten die Wolle; nach oben fahren die Bücher -aber mit dem Geist, der sie verfaßt, geht es ganz nach unten.
    Wenn ich die Lokomotive sehe, wie sie vor dem Zug ihrer Waggons mit der Geschwindigkeit eines Planeten hinfährt -
    oder vielmehr mit der eines Kometen, denn der Betrachter weiß
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    nicht, ob sie mit dieser Geschwindigkeit und in dieser Richtung jemals wieder in unser System eintreten wird, da seine
    Laufbahn nicht wie eine wiederkehrende Kurve aussieht -, mit ihren Dampfwolken, die wie ein Banner in goldenen und
    silbernen Windungen nach hinten wehen, gleich mancher
    Federwolke, die sich hoch oben am Himmel im Licht auffächert,
    - als wollte dieser reisende Halbgott, dieser Wolkenbezwinger, bald den Abendhimmel zur Livree seines Gefolges machen.
    Wenn ich das Stahlroß höre, wenn die Hügel von seinem
    Schnauben donnernd widerhallen, die Erde unter seinen Hufen bebt, Feueratem und Rauch aus seinen Nüstern stiebt (als welch ein gefiedertes Pferd oder

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