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Walden Ein Leben mit der Natur

Walden Ein Leben mit der Natur

Titel: Walden Ein Leben mit der Natur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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Tag rückte vor, als wollte er meinem Werk leuchten; eben erst war es Morgen - und sieh! schon war es Abend und nichts Nennenswertes vollbracht. Statt wie die Vögel zu singen, hatte ich still und glücklich vor mich hin gelächelt. So wie ich den Sperling im Hickorybaum vor meiner Tür zwitschern hörte, mochte er aus meinem Nest mein
    Glucksen und unterdrücktes Trällern hören. Meine Tage waren nicht gewöhnliche Wochentage, sie standen nicht im Zeichen einer heidnischen Gottheit, waren nicht in Stunden zerteilt und vom Ticken der Uhr zerrissen. Ich lebte wie die Puri-Indianer, von denen es heißt, sie hätten für gestern, heute und morgen nur ein einziges Wort und drückten den Unterschied in der Bedeutung dadurch aus, daß sie für gestern nach hinten, für morgen nach vorn und für heute in die Höhe deuten. Sicher sahen meine Mitbürger in solchem (Nichts-)Tun nichts als pure Faulheit; wenn aber Blumen und Vögel mich nach ihrem Maß gemessen hätten, würde ich wohl bestanden haben. Der
    Mensch muß, was er braucht, in sich selber suchen, das steht fest. Ein Tag in der Natur ist sehr still, er wird sich seine Trägheit kaum zum Vorwurf machen.
    Meine Lebensweise hatte denen gegenüber, die erst nach
    Vergnügungen, Gesellschaften und Theatervorstellungen
    Umschau halten mußten, zumindest den Vorteil, daß mein
    Leben selbst zum Vergnügen wurde und nie aufhörte, neu zu sein. Es war ein Schauspiel in vielen Aufzügen und ohne Ende.
    Wenn wir immer nur nach den neuesten und besten Methoden unseren Lebensunterhalt verdienten und unser Leben regelten, dann würden wir nie von Langeweile geplagt. Wer seinem
    eigenen Genius vertraut, dem wird sich zu jeder Stunde eine neue Möglichkeit bieten. Die Hausarbeit war ein angenehmer Zeitvertreib. War mein Fußboden schmutzig, stand ich zeitig auf
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    und stellte meine Möbel hinaus aufs Gras, Bett und Bettzeug in einem Bündel, schüttete Wasser auf die Dielen und streute Sand aus dem See darüber. Dann schrubbte ich sie mit dem Besen, bis sie weiß und sauber waren. Und um die Zeit, da die Ortsbewohner ihr Frühstück einnahmen, hatte die
    Morgensonne meinen Fußboden so weit getrocknet, daß ich wieder einziehen konnte. Meine Meditationen hatten dabei kaum eine Unterbrechung erfahren. Es war ein Vergnügen, alle meine Haushaltsgegenstände draußen im Gras zu sehen, auf einem kleinen Haufen wie die Habe eines Zigeuners; mein dreibeiniger Tisch, von dem ich Bücher, Tinte und Feder nicht entfernt hatte, stand mitten unter Kiefern und Hickorybäumen.
    Sie schienen selbst froh, einmal hinauszukommen und nur ungern wieder ins Haus zurückgeholt zu werden. Manchmal war ich versucht, eine Zeltplane über sie zu spannen und mich draußen hinzusetzen. Es lohnte sich, die Sonne auf sie
    scheinen zu sehen und den Wind über sie hinstreichen zu hören. Um wieviel interessanter nehmen sich die vertrauten Gegenstände im Freien aus als in den vier Wänden. Ein Vogel sitzt auf dem nächsten Ast, Immortellen wachsen unter dem Tisch, und Brombeerranken winden sich um seine Beine;
    Kiefernzapfen, Kastanienigel und Erdbeerblätter sind auf dem Boden verstreut. Es sah aus, als hätten sich ihre Formen auf diese Art zu unserer Einrichtung entwickelt, zu Tischen, Stühlen, Bettgestell, - weil sie einst in ihrer Mitte standen.
    Mein Haus lag an einem von jungen Pechkiefern und
    Hickorybäumen bestandenen Hang, der unmittelbar an den
    Wald grenzte. Der See, zu dem ein schmaler Weg hinabführte, befand sich ungefähr vierzig Schritt davon entfernt. In meinem Vorgarten wuchsen Erdbeeren, Brombeeren, Immortellen,
    Goldrute, Johanniskraut, Zwergeichen und Sandkirschen,
    Blaubeeren und Erdmandeln. Gegen Ende Mai blühte zu
    beiden Seiten des Weges die Sandkirsche (Cerasus pumila), deren zarte Blüten in zylinderförmigen Dolden um den kurzen Stengel stehen; im Herbst aber bogen sich die Sträucher unter der Last der großen schönen Kirschen, die wie Strahlenbündel auf beiden Seiten über den Weg hingen. Ich kostete sie aus
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    Höflichkeit gegen die Natur, aber sie waren nicht sehr
    schmackhaft. Der Sumach
    (Rhus glabra)
    wuchs
    verschwenderisch rund um das Haus. Er wurde im ersten Jahr fünf oder sechs Fuß hoch und überwucherte den Damm, den ich aufgeworfen hatte. Sein breites, gefiedertes tropisches Blatt war hübsch, mutete aber etwas fremdartig an. Die großen Knospen, die im späten Frühjahr überraschend aus den dürren, scheinbar abgestorbenen Ästen hervorbrachen,

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