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Walden Ein Leben mit der Natur

Walden Ein Leben mit der Natur

Titel: Walden Ein Leben mit der Natur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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wollte sich nicht schinden. Es war ihm einerlei, ob er nicht mehr als sein Essen verdiente. Oft ließ er sein Essen im Gebüsch, wenn sein Hund unterwegs ein
    Murmeltier gefangen hatte, und lief anderthalb Meilen zurück, um es bratfertig zu machen und in den Keller des Hauses, wo er untergekommen war, zu hängen - nachdem er zuerst eine halbe Stunde lang überlegt hatte, ob er es nicht bis zum Abend sicher im See versenken könnte. Über solche Dinge dachte er mit Hingabe nach. Manchmal rief er morgens, wenn er bei mir vorbeikam: »Wie dick die Tauben sind! Wenn Arbeit nicht mein Handwerk wäre - ich könnte mir Fleisch erjagen, soviel ich will: Tauben, Murmeltiere, Kaninchen, Rebhühner - du meine Güte!
    Ich könnte alles, was ich für die Woche brauche, an einem Tag zusammenbringen!«
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    Er war ein geschickter Holzhauer, der es liebte, seine Arbeit nach allen Regeln der Kunst auszuüben. Er fällte die Bäume eben und glatt über dem Erdboden, damit die Schößlinge
    danach um so kräftiger treiben und die Schlitten über die Baumstümpfe gleiten konnten. Und statt einen ganzen Baum als Stütze für das geklafterte Holz zurückzulassen, schnitt er ihn zu einem schlanken Pfahl zurecht, den man zu guter Letzt sogar mit der Hand brechen konnte.
    Dieser Mann weckte mein Interesse, weil er so still und einsam und dabei so glücklich war: eine Quelle der guten Laune und Zufriedenheit, von denen seine Augen überströmten. Sein Frohsinn war ungetrübt. Mitunter traf ich ihn im Wald bei der Arbeit, dann begrüßte er mich mit einem Lachen von
    unbeschreiblicher Zufriedenheit und rief mir einen kanadisch-französischen Gruß zu, obwohl er ebensogut Englisch sprach.
    Wenn er mich herankommen sah, ließ er die Arbeit stehen, ließ sich mit kaum unterdrückter Freude auf dem nächsten
    Föhrenstamm nieder, den er gefällt hatte, schälte sich ein Stück der inneren Baumborke ab und rollte es zu einer Kugel, an der er kaute, während er sich lachend mit mir unterhielt. Er steckte so voll animalischen Lebens, daß er sich vor Lachen auf die Erde werfen und dort herumrollen konnte, wenn immer ihm etwas besonderes Vergnügen machte. »Bei Gott!« rief er dann mit einem Blick auf die Bäume ringsum, »ich hab viel Freude hier mit meiner Holzschlägerei! Ich wüßte keinen besseren Zeitvertreib!« Hatte er wenig zu tun, dann vergnügte er sich den ganzen Tag mit einer Taschenpistole im Wald, schoß sich selbst während des Gehens regelmäßig Salut. Im Winter
    machte er sich ein Feuer an, über dem er mittags in einem Kessel seinen Kaffee wärmte; und wenn er dann auf einem gefällten Stamm seine Mahlzeit einnahm, umringten ihn die Schwarzmeisen, setzten sich auf seinen Arm und pickten nach der Kartoffel in seiner Hand. Er hatte die »kleinen Kerls gern um sich«, wie er sagte.
    In ihm war das Tierhafte vorherrschend. An Genügsamkeit und physischer Ausdauer war er den Föhren und Felsen verwandt.
    Ich fragte ihn einmal, ob er abends nicht müde sei, wenn er den
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    ganzen Tag gearbeitet habe, worauf er mit einem aufrichtigen, ernsten Blick erwiderte: »Du lieber Himmel! Ich bin mein Lebtag nicht müde gewesen!« Doch der intellektu elle oder der sogenannte geistige Mensch in ihm schlummerte selig wie ein Kind. Er war auf die unschuldige und wirkungslose Weise unterrichtet worden, in der die katholischen Priester die Eingeborenen lehren. Dabei führt die Erziehung den Schüler nie über einen gewissen Grad des Bewußtseins hinaus,
    sondern nur bis zum Glauben und zur Ehrfurcht. So wird ein Kind nicht zum Mann, sondern bleibt immer Kind. Als die Natur ihn schuf, hatte sie ihm einen kräftigen Körper und
    Zufriedenheit für sein ganzes Leben mitgegeben. Dazu hatte sie ihn in jeder Hinsicht mit Ehrfurcht und Vertrauen gestützt, damit er seine siebenzig Jahre verbringen möge wie ein Kind.
    Er war so echt und unverfälscht, daß keine noch so gute Beschreibung eine Vorstellung von ihm hätte geben können, etwa so, als wollte man seinem Nachbarn eine Vorstellung von einem Murmeltier geben. Man mußte schon selbst allmählich auf ihn draufkommen. Er wollte nie eine Rolle spielen. Die Menschen gaben ihm seinen Arbeitslohn, und damit verhalfen sie ihm zu Nahrung und Kleidung. Seine Meinung aber tauschte er nie mit ihnen aus. Er war von so einfacher, natürlicher Bescheidenheit - wenn einer bescheiden genannt werden kann, der nie etwas verlangt -, daß seine Bescheidenheit gar nicht als eine besondere Eigenschaft an ihm

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