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Walden Ein Leben mit der Natur

Walden Ein Leben mit der Natur

Titel: Walden Ein Leben mit der Natur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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mußt du um Himmels willen bei der Sache bleiben: du mußt ans Unkraut denken!« Zu solchen
    Gelegenheiten fragte er manchmal mich zuerst, ob ich
    irgendwelche Fortschritte gemacht hätte. Eines Wintertages fragte ich, ob er immer mit sich zufrieden wäre. Ich interessierte mich für eine Entsprechung in seinem Inne ren für das, wovon draußen der Pfarrer spricht, und für den tieferen Grund seines Lebens. »Zufrieden!« rief er; »manche sind mit dem einen zufrieden, manche mit dem anderen. Vielleicht ist einer, der genug hat, damit zufrieden, den ganzen Tag mit dem Rücken am Ofen zu sitzen und mit dem Bauch am Tisch, zum
    Donnerwetter!« Und doch konnte ich ihn mit keiner Frage je dazu bringen, die Dinge aus einer geistigen Perspektive zu betrachten; das höchste, was er fassen konnte, war ihre
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    einfachste Nutzbarkeit, wie man es etwa bei den Tieren
    erwartet; und das gilt praktisch für die meisten Menschen.
    Wenn ich ihm eine Verbesserung seiner Lebensweise
    nahelegte, gab er schlicht und ohne Bedauern zurück, es sei zu spät. Und doch glaubte er fest an Ehrlichkeit und ähnliche Tugenden.
    Man konnte aber auch Ansätze von geistiger Ursprünglichkeit an ihm entdecken. Hin und wieder machte ich die Beobachtung, daß er selbständig dachte und seiner eigenen Meinung
    Ausdruck verlieh; das ist immerhin eine Erscheinung von solcher Seltenheit, daß ich täglich zehn Meilen gehen würde, um so etwas zu erleben; es bedeutet für mich gleichviel wie die Neugestaltung vieler gesellschaftlicher Einrichtungen. Wenn er sich auch zögernd und manchmal nur ungenau ausdrückte, so steckte doch immer ein bemerkenswerter Gedanke dahinter.
    Doch war sein Denken so urwüchsig und mit dem animalischen Leben verwoben, daß es, obwohl zu größeren Hoffnungen
    berechtigend als das eines nur Gebildeten, selten etwas Berichtenswertes zeitigte. Hingegen gemahnte es daran, daß sich auch in den niedrigsten Lebenslagen geniale Menschen finden, die, so bescheiden und unwissend diese auch sein mögen, stets ihre eigene Meinung haben oder wenigstens nicht vorgeben, alles zu verstehen; die, wenn auch trüb und
    verschwommen, so unergründlich sind, wie man es bisher vorn Waldensee annahm. So mancher Wanderer machte einen
    Umweg, um mich und das Innere meines Hauses zu sehen; als Vorwand für seinen Besuch bat er um ein Glas Wasser. Ich sagte solchen Leuten meistens, daß ich am See trank, wies ihnen die Richtung und bot ihnen ein Schöpfgefäß an. Obgleich ich fern vom Ort lebte, wurde ich nicht von jener Heimsuchung verschont, die, wie mir scheint, alljährlich um den ersten April herum beginnt, wenn jedermann ausfliegt. Auch ich hatte meinen Anteil an diesem Glück, obzwar sich einige kuriose Exemplare unter meinen Besuchern befanden. Schwachsinnige aus dem Armenhaus und anderswoher kamen zu Besuch; doch ich setzte alles daran, daß sie den schwachen Geist, der ihnen blieb, benutzten und mir ihre Geständnisse machten. Dabei
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    machte ich oft den Geist zum Thema des Gesprächs und wurde so entschädigt. Tatsächlich fand ich sogar heraus, daß einige von ihnen weiser waren als die sogenannten Armenaufseher und Gemeinderäte, und fand, es wäre an der Zeit, die Tische zu vertauschen. Auch lernte ich bald, daß zwischen den geistig Schwachen und geistig Starken kein so großer Unterschied ist.
    So kam eines Tages ein argloser, einfältiger
    Almosenempfänger zu mir, von dem ich wußte, daß er oft als Hüter gebraucht wurde, der in den Feldern auf einem
    Garbenbündel saß oder stand und das Vieh und sich selbst vor dem Herumstreunen bewahrte. Er sagte, er wünschte so zu leben wie ich, und gestand mir in vollster Unschuld und Offenheit, womit er alles über- oder vielmehr unterbot, was man Bescheidenheit nennt, daß er »schwach im Geiste« sei. Das waren seine Worte. Gott habe ihn so geschaffen, sagte er, aber er meine, der Herrgott sorge für ihn genauso wie für jeden anderen. »Ich war schon immer so«, meinte er, »von Kind auf.
    Ich hatte nie viel Verstand. Ich war nicht wie andere Kinder. Ich bin schwach im Kopf. Es war Gottes Wille, nehme ich an.« Und da stand er vor mir als lebendiger Beweis seiner Worte. Er war ein metaphysisches Rätsel für mich. Selten war ich einem Menschen mit solch vielversprechenden Grundlagen begegnet
    - alles, was er sagte, war schlicht, offen und wahr. Und wirklich, je mehr er sich zu erniedrigen schien, desto mehr schien er erhöht zu werden. Ich wußte zuerst nicht, ob nicht

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