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Walden Ein Leben mit der Natur

Walden Ein Leben mit der Natur

Titel: Walden Ein Leben mit der Natur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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Erde leben? Bin ich denn nicht selbst zum Teil Blatt und Humus?
    Wie heißt jene Pille, die uns gesund, heiter und zufrieden erhält? Es ist nicht die meines Urgroßvaters oder des deinen, sondern die Allheilmittel aus den Kräutern und Pflanzen unserer Urgroßmutter Natur, durch das sie sich selbst stets jung erhielt und so manchen Dickwanst überlebte, an dessen
    verwesendem Fett sie sich stärkte. Mein Allheilmittel ist anstatt jener gepriesenen Mixturen aus Acheron und dem Toten Meer, welche die Quacksalber in Fläschchen von ihren schwarzen Planwagen verkaufen, ein Zug unverdünnter Morgenluft.
    Morgenluft! Wenn die Menschen von ihr nicht an der Quelle des Tages trinken wollen, werden wir ein wenig von ihr auf
    Flaschen füllen müssen und sie in den Läden verkaufen, zum Wohle derer, die ihr Rezept für Morgenstunden in dieser Welt verloren haben. Man vergesse aber nicht, daß sie sich auch im kühlsten Keller nicht bis Mittag hält, sondern schon lange vorher den Korken heraustreibt und auf Auroras Spuren nach Westen entweicht. Ich bin kein Verehrer der Hygeia, der Tochter jenes alten Kräuterdoktors Äskulap, den man mit der Schlange in der Hand und der Schale, aus der sie manchmal trinkt, in der anderen so häufig abgebildet sieht. Weit eher einer der Hebe, jener Mundschenkin Jupiters, der Tochter Junos und des wilden Lattichs, welche die Macht besaß, Göttern und Menschen die Kraft der Jugend wiederzugeben. Sie war wohl das einzige wirklich gesunde, kräftige junge Mädchen, das je die Erde betreten; wo sie den Boden berührte, wurde es
    Frühling.
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    VI
    Besucher
    Gesellschaft ist mir wohl nicht weniger lieb als den anderen Menschen, und ich bin stets bereit, mich eine Zeitlang wie ein Blutegel an jeden vollblütigen Menschen zu hängen, der
    meinen Weg kreuzt. Ich bin von Natur aus kein Einsiedler und könnte vielleicht den seßhaftesten Stammgast in der Kneipe an Ausdauer übertreffen, wenn mein Geschäft mich dorthin riefe.
    In meinem Haus gab es drei Stühle: einen für die Einsamkeit, zwei für die Freundschaft, drei für die Geselligkeit. Wenn unerwartet mehr Besucher kamen, mußten sie sich mit dem dritten Stuhl begnügen; doch machten sie meist aus der Not eine Tugend und nutzten zugleich den Raum besser aus,
    indem sie stehen blieben. Es ist erstaunlich, wie viele große Männer und Frauen ein kleines Haus wie das meine
    aufnehmen kann. Ich hatte schon fünfundzwanzig bis dreißig Seelen - samt ihren Leibern - zugleich unter meinem Dach, und doch trennten wir uns oft mit dem Gefühl, einander nicht besonders nahegekommen zu sein. Viele unserer Gebäude,
    sowohl öffentliche wie auch private, erscheinen mir mit ihren fast unzählbaren Zimmern, großen Sälen und ihren Kellern zur Lagerung der Weine und anderer Friedensmunition, viel zu groß für ihre Bewohner. Sie sind so weitläufig und großartig, daß letztere wie Ungeziefer wirken, das sie befallen hat. Mich befremdet jedesmal, wenn der Herold vor dem Tremont-, dem Astor- oder dem Middlesex-House seine Nachricht verkündet, als einzigen Bewohner eine lächerliche kleine Maus zu sehen, die aus dem Haus auf die Piazza kriecht und gleich wieder in einem Spalt im Kopfsteinpflaster verschwindet.
    Eine Unannehmlichkeit machte sich allerdings manchmal in meinem kleinen Haus bemerkbar: die Schwierigkeit, genügend Abstand von meinem Gast zu nehmen, wenn wir begannen,
    große Gedanken mit großen Worten auszusprechen. Man
    braucht Raum, wenn man seine Gedanken richtig flott machen und sie einige Male lavieren lassen will, ehe sie ihren Hafen anlaufen. Das Geschoß eines Gedankens muß erst den
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    Rückstoß und die seitliche Bewegung überwunden und seine endgültige, gleichmäßige Flugbahn angenommen haben, ehe es das Ohr des Hörers erreicht, um nicht am Ende beim
    anderen Ohr wieder herauszuschwirren. Ebenso brauchen
    unsere Sätze Raum, um sich zu entfalten und in den
    Gedankenpausen Kolonnen formieren zu können. Wie die
    einzelnen Völker, so brauchen auch Einzelwesen einen
    angemessenen Raum und ihre natürlichen Grenzen, ja sogar ein ansehnliches Stück neutralen Bodens zwischen sich. Es war für mich ein Hochgenuß, mich mit meinem Bekannten am anderen Ufer des Sees über das Wasser hinweg zu
    unterhalten. In meinem Haus waren wir so nahe, daß wir
    einander nicht hören, gar nicht leise genug sprechen konnten, um gehört zu werden! Wie wenn man zwei Steine in solcher Nähe in ruhiges Wasser wirft, daß sie gegenseitig

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