Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
schwersten Gespanne tragen. Und liegt gar bisweilen auch Schnee auf dem Eise, dann kann man den Teich von irgend einem ebenen Feld nicht unterscheiden. Wie die Murmeltiere in den umliegenden Bergenschließt er seine Augenlider und schlummert drei Monate oder noch länger. Ich stehe auf der schneebedeckten Ebene wie auf einem Anger zwischen den Hügeln. Erst bahne ich mir den Weg durch fußhohen Schnee, dann durch fußtiefes Eis. Zu meinen Füßen öffne ich ein Fenster, kniee nieder, um zu trinken und sehe dabei in das friedliche Wohnzimmer der Fische hinab, wohin nur gedämpftes Licht – wie durch Milchglas – dringt und wo heller Sand auf dem Boden liegt, genau wie im Sommer. Hier herrscht ewige, wellenlose, selige Ruhe, wie im bernsteinfarbenen Zwielichthimmel. Sie harmoniert mit dem kühlen, gleichmäßigen Temperament der Bewohner dort unten. Der Himmel ist so gut unter unseren Füßen wie über unseren Häuptern.
Früh morgens, wenn alle Dinge starr vom Frost sind, kommen Leute mit Angelruten und kärglichem Imbiß und lassen ihre feinen Schnüre durch das Schneefeld in die Tiefe, um Grashechte und Barsche zu fangen. Rauhe Menschen sind's, die instinktiv anderen Bräuchen folgen, anderen Autoritäten vertrauen als ihre Mitbürger, und die durch ihr Kommen und Gehen Städte dort miteinander verbinden, wo sonst kein Verbindungsweg sich findet. In wetterfesten Anzügen aus Wolltuch sitzen sie auf dem trockenen Eichenlaub am Uferrand und verzehren ihr Mahl. Ihr instinktives Wissen ist gerade so umfangreich wie die erlernte Weisheit ihrer Mitbürger. Bücher haben sie nie um Rat gefragt. Sie wissen viel weniger und können über viel weniger Dinge sprechen, als sie vollbracht haben. Wie sie zu Werke gehen, das weiß die Menschheit bislang noch nicht. Da fischt einer Grashechte und gebraucht ausgewachsenen Barsch als Köder. Mit Erstaunen blickt man in seinen Eimer, der einem Teich im Sommer gleicht. Hatte er vielleicht gewußt, wohin der Sommer sich zurückzog oder hielt er ihn gar in seiner Wohnung eingeschlossen? Wie war es ihm überhaupt möglich, mitten im Winter Barsche zu bekommen? Nun: er verschaffte sich, als der Erdboden gefroren war, Würmer aus vermoderten Baumstämmen und damit fing er sie. Der Naturforscher kann durch eifrige Studien nicht das tiefe Vertrautsein mit der Natur erlangen, welches dieser Mann seinLeben lang besitzt. Er selbst ist für den Naturforscher ein Problem. Dieser schält Moos und Rinde vorsichtig mit seinem Messer ab und sucht Insekten, jener legt mit seiner Axt Stämme bis zum Mark frei, wobei Moos und Rinde in alle Winde stiegen. Er verschafft sich seinen Unterhalt durch Abrinden der Bäume. Solch ein Mensch hat eine gewisse Berechtigung zum Fischen und mit Freude sehe ich, wie die Natur in ihm sich offenbart. Der Barsch verzehrt den Regenwurm, der Grashecht den Barsch und der Fischer den Grashecht. So sind alle Zwischenräume an der Stufenleiter der Geschöpfe ausgefüllt.
Wenn ich bei Nebelwetter um den Teich herumschlendere, machten mir bisweilen die einfachen Methoden Freude, die ein recht naturwüchsiger Fischer anwendete. Er stellte Erlenzweige über die schmalen Löcher im Eis auf, die sechzig bis achtzig Fuß untereinander und ebenso weit vom Ufer entfernt waren, befestigte das Ende der Schnur an einem Stock, damit sie nicht durch das Loch herabgezogen werde, legte die lockere Schnur über einen Erlenzweig, der etwa einen Fuß über das Eis emporragte und band ein trockenes Eichenblatt daran. Wenn man halbwegs um den Teich herumging, konnte man diese Erlen in regelmäßigen Abständen durch den Nebel erkennen.
Ja, diese Grashechte aus dem Waldenteich! Wenn ich sie auf dem Eis liegen sehe oder in der Vertiefung, die der Fischer ins Eis hackt und unten mit einer kleinen Öffnung versieht, um das Wasser einzulassen, so bin ich immer aufs neue von ihrer seltsamen Schönheit überrascht. Wie Märchenfische kommen sie mir vor. Sie passen so wenig auf unsere Märkte, so wenig sogar zu unsern Wäldern wie Arabien zum Concorder Leben. Eine blendende, transzendentale Schönheit ist ihnen eigen, eine Schönheit, die durch eine weite Kluft von dem leichenhaften Stockfisch und Kabeljau getrennt ist, deren Loblied man auf unseren Märkten singt. Sie sind nicht grün wie die Tannen, nicht grau wie die Steine, nicht blau wie der Himmel. Nein, für meine Augen haben sie noch seltsamere Farben als Blumen und Edelgestein, als ob sie die Perlen, die beliebten nuclei oder die
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