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Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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hauptsächlich erforschen sollen, sondern lebendige Dichtung wie die Blätter eines Baumes, die den Blüten und Früchten vorauseilen – keine versteinerte, sondern lebendige Erde. Mit ihrem gewaltigen, zentralen Leben verglichen erscheint alles animalische und vegetabilische Leben nur schmarotzerhaft. Ihr Kreißen wird unsre exuviae aus den Gräbern heben. Und wenn wirauch Metalle schmelzen und ihnen die schönsten Formen geben: sie können mich nicht so ergreifen, wie die Formen, in welche diese geschmolzene Erde sich ergießt. Nicht nur die Erde, nein auch ihre Satzungen sind plastisch wie der Ton in des Töpfers Hand.
     
    Und gar bald kommt nicht nur aus diesen Dämmen, sondern aus jedem Hügel, aus der Ebene und aus jeder Höhlung der Frost aus dem Boden, wie ein schläfriger Vierfüßler aus seinem Schlupfwinkel hervor, wandert mit Gesang dem Meere zu oder zieht in den Wolken in fremde Lande. Tau ist mit seiner milden Überredungskunst mächtiger als Thor mit seinem Hammer. Der eine schmilzt – der andere zertrümmert nur.
     
    Als der Boden teilweise schneefrei war und einige warme Tage seine Oberfläche etwas getrocknet hatten, war es ein Genuß, die ersten zarten Zeichen des eben aus der Erde hervorlugenden, neugeborenen Jahres mit der stolzen Schönheit der verdorrten Vegetation zu vergleichen, welche den Winter überdauert hatte. Immergrün, Goldstab, die Spierstaude und anmutiges, wildes Gras fallen jetzt mehr auf, erwecken jetzt mehr Interesse als im Sommer, als ob ihre Schönheit erst jetzt zu voller Reife gelangt sei. Und das Woll- und Katzenschwanzgras, Wollkraut, Beifuß-, Nadel- und Mehlkraut und andere Pflanzen mit derbem Stengel, diese unerschöpflichen Kornspeicher, welche den ersten Vögeln Nahrung gewähren, gleichen dem bescheidenen Gewand, das die verwitwete Natur zunächst noch trägt. Hauptsächlich interessiert mich die gewölbte und garbenartige Spitze des Wollgrases. Sie ruft im Winter den Sommer zurück, und zeigt jene Formen, welche die Kunst mit Vorliebe nachahmt, und welche im Königreich der Pflanzen dieselbe Beziehung zu dem Menschenherzen bereits bekannten Typen haben, wie die Astronomie. Sie gibt einen uralten Stil wieder, der älter ist als der griechische oder der ägyptische. Viele Erscheinungen, die der Winter mit sich bringt, sind unaussprechlich zart, zerbrechlich und zierlich. Wir sind daran gewöhnt, daß dieser König als ein wilder, ungebändigter Tyrann geschildert wird. Er schmückt jedoch mit der Zärtlichkeit eines Verliebten des Sommers Locken ...
     
    Als der Frühling herannahte, kamen – immer gepaart – die roten Eichhörnchen unter mein Haus. Sie liefen über meine Stiefel, wenn ich dasaß und las oder schrieb. Dabei ließen sie das wunderlichste Glucksen und Girren, vokale Pirouettieren und Kichern hören, das ich je vernahm, und wenn ich dann mit den Füßen stampfte, so kicherten sie nur um so lauter, als ob sie mit ihren verrückten Possen jenseits von Furcht und Achtung ständen und der Menschheit das Recht absprächen, ihnen Einhalt zu gebieten ... Was fällt Euch denn ein! ... Chikarie, Chikarie! ... Sie blieben meinen Forderungen gegenüber vollkommen taub, oder konnten ihre Berechtigung nicht einsehen. Sie schimpften dermaßen, daß man ihnen gegenüber machtlos war.
     
    Der erste Sperling des Frühlings! Mit jüngerer Hoffnung denn je beginnt das Jahr! Einen leisen silbernen Triller lassen der Singsperling, die Weindrossel und die blaue Grasmücke über die teilweise noch nackten, feuchten Felder erschallen, als ob die letzten Winterflocken klingend herniederschweben. Wie wertet man in solchen Stunden Geschichte, Chronologien, Traditionen und alle geschriebenen Offenbarungen? Die Bäche singen Lobgesänge und jubeln dem Frühling zu. Tief über die Wiesen hin segelt der Sumpffalke und späht nach dem ersten schleimigen Leben, das hier erwacht. Der ersterbende Ton des schmelzenden Schnees läßt sich überall vernehmen und schnell löst sich das Eis auf den Teichen. An den Hügelhängen flammt das Gras wie ein Frühlingsfeuer empor – " et primatus oritur herba imbribus primoribus evocata " – als ob die Erde ein inneres Feuer nach außen sende, um die Wiederkunft der Sonne zu begrüßen. Nicht gelb, nein grün ist die Farbe dieser Flamme ... Das Symbol ewiger Jugend, der Grashalm, quillt wie ein langes, grünes Band aus dem Boden in den Sommer hinein; zwar hat er mit dem Frost zu kämpfen, doch weiter und immer weiter strebend erhebt er

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