Waldesruh
einrichten.
Während der letzten Tage war das Leben der drei Geschwister in Außerhalb 5 erstaunlich glatt verlaufen. Niemand hatte nach Frau Holtkamp gefragt, das Schulproblem hatten sie durch wechselseitiges Schwänzen und einige Unterrichtsausfälle elegant und unauffällig lösen können. Nur Moritz hatte ein paarmal nach seiner Oma gefragt, aber jedes Mal hatte er sich mit den ausweichenden Antworten von Janna und Marie zufriedengegeben.
Nun standen die Ferien vor der Tür.
»Ich habe letzte Woche im Garten geholfen, hier, schau, man sieht immer noch die Blasen.« Sie streckte ihrer Mutter die Hände hin.
»Kind, was hast du denn da gemacht?« Ihre Mutter sah fast ein bisschen erschrocken aus.
»Nur ein bisschen umgegraben.«
»Ach! Dort verrichtest du Schwerstarbeit und zu Hause muss man um jede Hilfe von dir betteln!« Emilys Mutter blickte sie spöttisch an. »Na, wenn du neuerdings so gerne Gartenarbeit machst, dann kannst du gleich mal die Hecke hinter unserem Haus stutzen. Aber bitte schön akkurat!«
Emily hatte das Gefühl, dass das Gespräch nun in eine ganz falsche Richtung lief.
»Meinetwegen.« Sie nickte flüchtig. »Aber nur, wenn ich nicht mit zum Segeln muss. Ich hasse Segeln, das ist euer Hobby, nicht meins.«
Frau Schütz zog die Augenbrauen zusammen. »Emily, was ist denn wirklich los? Wir haben dich doch gefragt und noch vor einer Woche warst du ganz begeistert. Du kannst nicht ständig deine Meinung ändern.«
Ohne es zu wollen, brach Emily in Tränen aus. Sie rannte die Treppe hinauf und knallte die Tür hinter sich zu, wohl wissend, dass ihre Mutter so ein Benehmen erst recht verärgerte. Sie verschloss die Tür und drehte ihre Musikanlage voll auf. Doch nach einer halben Stunde ging ihr die laute Musik selbst auf die Nerven. Sie drehte sie leiser und versuchte, weiter an ihrem Katzenbild zu arbeiten. Aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Als ihre Mutter von unten zum Abendessen rief, brüllte sie zurück: »Ich will nichts essen!«, obwohl ihr Magen schon seit Stunden knurrte. Aber sie musste standhaft bleiben. Ein Hungerstreik! Das war die Idee. Sie hatte noch vier Tage Zeit bis zum Abflug am Freitag nach Sardinien. Wenn sie so lange durchhielt, würden ihre Eltern begreifen, dass sie es dieses Mal ernst meinte. Sie war vierzehn, verdammt noch mal, in zwei Monaten wurde sie fünfzehn, sie konnten sie nicht andauernd behandeln wie ein kleines Kind!
Zu ihrer Verwunderung klopften weder ihr Vater noch ihre Mutter an diesem Abend an ihre Tür. Sie würden mich kaltblütig verhungern lassen, dachte Emily, der schon ganz schwindelig war.
Gegen zwei Uhr am Morgen wurde sie wach, weil sich ihr Magen zusammenkrampfte. Ganz leise schloss sie ihre Tür auf und schlich nach unten zum Kühlschrank. Ob es wohl auffiel, wenn von diesem kalten Braten ein Stück fehlte?
Hm...wie gut der roch! Sie schnitt eine dicke Scheibe ab und stopfte sie sich gierig in den Mund.
»Warum isst du denn nicht mit uns?«
Erschrocken schlug Emily die Kühlschranktür zu. Mist! Ihr Vater. Das Licht ging an. Sie wusste keine Antwort auf seine Frage, hätte auch gar nicht antworten können, denn in ihrem Mund verklumpten sich gerade hundert Gramm Braten zu einem zähen Kloß.
»Können wir mal vernünftig miteinander reden?« Ihr Vater schnitt sich ebenfalls eine Scheibe Braten ab und nahm in seinem Schlafanzug am Küchentisch Platz.
»Mhm«, machte Emily und deutete auf ihre dicke Backe. Endlich hatte sie den Riesenbissen hinuntergewürgt. Herr Schütz holte ein Stück Brot. »Hier, sonst wird dir noch schlecht.« Emily griff nach der Scheibe und setzte sich zu ihm an den Tisch.
»Was ist das für eine Idee, dass du nicht mit uns zum Segeln willst?«
»Ich will eben nicht. Ich möchte bei Marie bleiben.«
»Was ist denn so schön bei Marie?«
»Alles«, sagte Emily, wobei ihr klar war, dass das keine Antwort war, mit der man Erwachsene zufriedenstellen konnte. »Es ist so ruhig da, bis auf die Züge natürlich, und man wohnt mitten in der Natur.«
»Auf einem Segelboot ist man auch mitten in der Natur, mehr Natur geht gar nicht.«
»Aber bei Marie ist mehr Platz, niemand macht einem Vorschriften...« Halt, stopp, das war der falsche Weg. Er durfte auf keinen Fall den Eindruck bekommen, dass in Außerhalb 5 das Chaos regierte. Sie schwenkte rasch um: »Marie ist meine einzige Freundin seit diesem blöden Umzug.«
Ihr Vater schloss für eine Sekunde die Augen und atmete schwer. Emily witterte
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