Waldmeister mit Sahne
schaffe ich“, murmelte Joachim. Seine Frau schaltete ohne einen weiteren Kommentar das Licht aus und drehte sich auf die Seite.
Im Dunkeln starrte Joachim an die Decke. Ob Micha schon schlief? Und viel wichtiger: Hatte sich Micha in der Zwischenzeit ein wenig beruhigt? Den ganzen Nachmittag über hatte sich Joachim mit den Kindern beschäftigt und dabei in Gedanken schöne Sätze formuliert, um Micha sein Verhalten zu erklären. Aber in seinen Ohren klang alles nach abgedroschenen Phrasen. Außerdem hatte er seinen neugierigen Kindern erklären müssen, warum sein Kinn blau verfärbt war. Die Lüge, er wäre gegen eine offene Schranktür gelaufen, hatten sie mit einem frechen Lachen quittiert.
Am Abend hatte er mehrfach sein Handy hervorgeholt, um Micha anzurufen. Doch dann hatte er Hennie das Abendbrot machen müssen und Lucas und Marty wollten die Simpsons sehen und Joachim hatte weiterhin nicht gewusst, was er Micha sagen sollte.
Und?, fragte sein Gewissen. Wie stellst du dir das zukünftig vor? Erwartest du von Micha, dass er weiterhin in der Öffentlichkeit eure Homosexualität leugnet und dazu bereitwillig einen Ehebrecher und Fremdgeher deckt?
Darauf würde sich Micha überhaupt nicht einlassen. Soviel war Joachim klar. Es gab ohnehin nur drei Möglichkeiten: Er vergaß Micha, parkte erneut am Kennel und suchte sich einfach einen neuen Kerl, der es ihm ordentlich besorgte. Eine eher unwahrscheinliche Idee, denn Micha gegen einen anderen Mann auszutauschen, war so absurd, wie Urlaub auf dem Mond zu buchen.
Oder er blieb als braver Familienvater bei Vanessa, kümmerte sich um die Kinder und kehrte in das Leben eines Heteros zurück. Bei dieser Vorstellung stöhnte Joachim leise. Noch unwahrscheinlicher. Das würde in ein Leben voller Qualen ausufern.
Die dritte Möglichkeit bedeutete Nägel mit Köpfen zu machen, sich von Vanessa trennen, ihr reinen Wein einschenken und zum Wochenendpapa zu degenerieren. Mit Micha zusammenziehen, abends auf dem Sofa kuscheln, mit ihm wilde Wasserorgien unter der Dusche feiern und jeden Abend in seinen Armen einschlafen.
Unter der Bettdecke wanderte Joachims Hand zwischen seine Beine und er berührte sich am halbsteifen Glied. Wie oft hatten ihn Michas Finger dort angefasst, um ihn direkt in den Himmel zu befördern? Und er hatte weit mehr getan … Joachim überlief ein hitziges Gefühl, als er daran zurückdachte. Er spürte, wie er hart wurde, und zog die Hand rasch zurück. Nicht auszudenken, was Vanessa sagen würde, wenn er sich hier neben ihr einen runterholen würde. Seufzend zog er die Bettdecke höher und drehte seiner Frau ebenfalls den Rücken zu. Möglichkeit Nummer Drei war ebenfalls unwahrscheinlich. So wie Micha ihn beschimpft hatte, war für ihn die Beziehung beendet. Unglücklich drückte Joachim sein Gesicht in das Kissen. Was für ein Dilemma!
Die Dienstbesprechung zog sich endlos hin. Joachim saß regungslos auf seinem Stuhl, die Hände lagen wie bei einem Büßer gefaltet in seinem Schoß und er starrte vor sich auf die Kopie eines Gerichtsurteils, das Herr Wiehlberg vor fünf Minuten an seine sieben Mitarbeiter verteilt hatte. Im Augenblick erging sich sein Stellenleiter in einem endlosen Für und Wider dieses Urteils. Joachim hatte irgendwann abgeschaltet, weil er sich einfach nicht konzentrieren konnte. Sein Kollege, Dieter Milich, deutete hinter dem Rücken von Wiehlberg ein übertriebenes Gähnen an und grinste idiotisch. Wie immer benahm sich Dieter wie ein kleines Kind. Joachim vermutete, dass sein Kollege mit den blödsinnigen Witzchen in Wirklichkeit nur seinen ständig wachsenden Bierbauch und die beginnende Halbglatze zu kompensieren versuchte.
„Ich würde übermorgen gerne eine weitere kleine Besprechung abhalten. Bis dahin werden Sie bestimmt alle die neuen Richtlinien wenigstens kurz überflogen haben. Es hat einige gravierende Änderungen gegeben. Hat sonst jemand von Ihnen ein Problem, das angesprochen werden sollte?“, fragte Wiehlberg. Niemand meldete sich.
„Dann erteile ich nun Herrn Thiel das Wort, bevor wir uns alle wieder an die Arbeit machen.“ Wiehlberg lehnte sich in seinem Stuhl zurück und warf Joachim einen auffordernden Blick zu. Der räusperte sich, denn seine Kehle fühlte sich plötzlich ziemlich trocken an. Die Kollegen sahen ihm teils neugierig, teils gelangweilt entgegen.
„Mir ist bewusst, dass die Stadtverwaltung nicht mehr als ein kleines Dorf ist. Neuigkeiten sprechen sich ja schneller herum als ein
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