Waldmeister mit Sahne
Kollege hat ein neues Wort gelernt.“ Joachim griff nach seinem Kugelschreiber. Seine Hand zitterte und in seinem Magen hatte sich ein flaues Gefühl breitgemacht. Spießrutenlaufen! Die nächsten Wochen würde er tatsächlich Spießrutenlaufen. Joachim starrte blicklos vor sich auf den Schreibtisch. Da musste er wohl oder übel durch. Wollte er irgendetwas retten, was von seiner Beziehung zu Micha übrig war, durfte es keine Heimlichkeiten mehr geben. Und seine Kollegen hätten früher oder später durch einen dummen Zufall von seiner Homosexualität Wind bekommen. So etwas ließ sich nie für die Ewigkeit geheim halten. Wenigstens brauchte er sich nicht mehr zu verstellen. Joachims Finger knibbelten nervös an dem Kugelschreiber herum. Wie sehr wünschte er sich, dass Micha in diesem Augenblick an seiner Seite wäre und ihm Mut zusprach. Micha – der keinen Anruf entgegennahm und auf keine SMS antwortete. Den er mehr vermisste, als er sich jemals hätte vorstellen können. Joachim zog bestimmt zum hundertsten Mal sein Handy hervor und kontrollierte die Posteingänge. Vielleicht hatte Micha inzwischen geantwortet ... Hatte er nicht. Enttäuscht zog Joachim seinem Handy eine Grimasse. Er fand lediglich drei Nachrichten von Vanessa, die außer Beschimpfungen nichts weiter enthielten. Seine Frau war völlig ausgerastet, als Joachim ihr gestern die Wahrheit gebeichtet hatte. Dabei war zwischen ihnen ohnehin seit Langem nichts mehr gelaufen, denn Vanessa war immer nur mit sich beschäftigt gewesen. Nicht einmal für die Kinder fand sie Zeit. Hätten seine Schwiegereltern nicht an den Wochenenden auf ihre Enkel aufgepasst, hätte er noch weniger Zeit mit Micha verbringen können. Einzig Vanessas Ego hatte bei Joachims Beichte gelitten. Ihr Ehegatte würde sie verlassen, weil er auf Männerärsche und Pimmel stand. So jedenfalls hatte sie den ganzen Tag herumgeschrien. Dazwischen erging sie sich in Heulattacken, die eindeutig in die Kategorie Selbstmitleid gehörten. Würde Joachim sie wegen einer anderen Frau verlassen, hätte Vanessa das wahrscheinlich eher verstehen können, selbst wenn es ihrem Narzissmus und ihrer Eitelkeit einen heftigen Schlag versetzt hätte. Dass er sie wegen eines Kerls sitzen ließ, ging dagegen gar nicht. Wie hatte sie all die Jahre nur mit einem perversen Schwein zusammenleben können? Das wusste Joachim ebenfalls nicht. Er löschte den Posteingang und beschloss, es nach Feierabend bei Micha zu Hause versuchen. Manchmal war eine direkte Konfrontation die beste Lösung.
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Auch am nächsten Tag konnte sich Joachim kaum auf die Arbeit konzentrieren. Dauernd klingelte sein Telefon und wenn er den Hörer abnahm, musste er sich den Vorwürfen seiner Schwiegereltern stellen, bei denen Vanessa überstürzt mit den Kindern eingezogen war. Erst als Joachim ihnen ziemlich deutlich mitteilte, dass er ihnen nach Feierabend Rede und Antwort stehen würde und sie nicht ununterbrochen auf seinem Dienstapparat anrufen sollten, konnte er etwas durchatmen. Dafür mehrten sich die wütenden Nachrichten von Vanessa auf seinem Handy. Inzwischen löschte sie Joachim, ohne sie zu lesen. Er hätte gerne mit Lucas und Martin gesprochen, allerdings weigerten sich seine Schwiegereltern, das Telefon an die Jungs weiterzureichen. Als hätte der schwule Papa plötzlich eine ansteckende Krankheit, die über das lange Telefonkabel übertragbar war. Der Einzige, der sich zu seiner größten Verzweiflung nicht meldete, war Micha. Gestern Abend hatte in seiner Wohnung zwar Licht gebrannt, aber auf Joachims Klingeln hin hatte Micha nicht reagiert.
Nachdem er die Unterlagen, die ihm ein Kunde persönlich vorbeibrachte, kopiert hatte, schrieb Joachim eine weitere SMS:
Ich vermisse dich sehr und würde dir gerne alles erklären. Bitte lass uns irgendwo auf einen Kaffee hingehen.
Er drückte die Senden-Taste und legte das Handy in Griffweite.
„Probleme?“, fragte Dieter mit einem süffisanten Grinsen. Joachim warf ihm einen ungehaltenen Blick zu und ersparte sich eine Antwort. Seine Sorgen gingen Dieter nun wirklich nichts an. Außerdem brauchte der ohnehin bloß einen Aufhänger für seine nächsten Schmähreden in der Raucherrunde auf dem Hof. Mittlerweile schien jeder Mitarbeiter der Stadtverwaltung über ihn Bescheid zu wissen. Es war beinahe unheimlich, wie schnell Neuigkeiten die Runde machten. Weniger schön waren die Gespräche, die schlagartig abbrachen, sobald er irgendwo aufkreuzte oder das
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