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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Meine Vorhersage hatte sich also bewahrheitet.
    Sie gaben dem Kind gemäß der Sitte den Namen Adelheid. So hießen auch die Großmutter und die Mutter. Das kleine Mädchen wurde schon wenige Tage später in St. Blasien getauft, denn jeder weiß, wie groß die Gefahr ist, dass ein Säugling schon kurz nach der Geburt stirbt. Mich nahmen sie zur Taufe nicht mit. Es war offenbar nicht der Wille des Herrn, dass ich wieder in die Abtei zurückkehrte.
    Ich liebte Adelheids Tochter auf den ersten Blick. Nachdem die Runzeln sich geglättet hatten, wurde sie ihrer Mutter mit jedem Tag ähnlicher. Wenn sie älter war, würde sie auch deren dunkle Augen bekommen, das war schon zu erkennen. Sie weinte wenig für einen Säugling. Wenn sie nicht schlief, dann lutschte sie zufrieden mit großen Augen an dem mit Honig getränkten Zipfel eines Tuches. Ich beschäftigte mich mit ihr, wann immer ich Zeit dazu fand. Dann war ich glücklich. Der Spott der Frauen war mir gleichgültig, ebenso die unverhohlen gezeigte Eifersucht ihrer Amme. Meine Zuneigung zu diesem Kind spann außerdem besondere Fäden zwischen der Herzogin und dem Zwerg.
    Allerdings blieb mir wenig Musse, mich mit der kleinen Adelheid zu beschäftigen. Nachdem sich meine Vorhersage als wahr erwiesen hatte, betrachtete Rudolf mich mit anderen Augen. Immer öfter ließ er mich zu sich rufen, fragte mich um Rat. So wurde ich immer mehr auch der Zwerg des Herzogs.
    Einige Wochen später kam hoher Besuch auf die Burg. Der Frühling ging schon in den Sommer über, als Papst Honorius II. Einlass begehrte. Mein Herr Rudolf ließ mich zu sich rufen, sichtlich beunruhigt.
    »Zwerg, ich brauche deine Sicht.«
    Ich nickte. »Ich wünschte, Herr, Ihr würdet mich nicht Zwerg nennen. Ich werde zwar körperlich immer ein kleiner Mann bleiben, doch mein Geist und mein Verstand wachsen weiter.«
    Rudolf winkte ab, ohne auf meine Worte einzugehen. »Du weißt, wer Honorius ist? «
    »Der Papst. Oder soll ich besser sagen, seit zo6i der Gegenpapst des Königs? Wie mir Abt Warinharius von St. Blasien erklärte, wurde im gleichen Jahr Alexander II. vom Kardinalskollegium in Rom zum Nachfolger von Nikolaus II. auf dem Apostolischen Stuhl bestimmt. Ein gewisser Hildebrand, Kustos des Altars zu St. Peter in Rom, soll dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Wenn Ihr mir die Ergänzung gestattet: Damit hat Hildebrand gezeigt, dass selbst Kleinwüchsige einiges vermögen. Wie mir Abt Warinharius von St. Blasien versicherte, soll er nur etwa zwei Handbreit größer sein als ich selbst. Dieser Hildebrand hat jedenfalls einen Papst gemacht. Wer weiß, vielleicht mache ich aus Euch wirklich noch einen König.« Ich fand mich in diesem Moment ziemlich geistreich. Aber nicht lange.
    »Zwerg, du hast bei Gott eine lose Zunge«, wies Rudolf mich barsch zurecht. Diesmal halte ich dir noch deine Jugend zugute, doch solche Bemerkungen passen nicht zu der Weisheit, die du sonst zu haben vorgibst. Einen König haben wir, wie du wohl weißt. Auch wenn er erst im nächsten Jahr zur Schwertleite geht, also feierlich mit dem Schwert umgürtet und damit eigentlich erst mündig wird. Und das Haus Rheinfelden steht hoch in seiner Gunst.« Rudolf bekreuzigte sich bei diesen Worten vorsichtshalber, um die Dämonen der Hölle zu vertreiben.
    Ich schlug zur Sicherheit ebenfalls ein Kreuz, verfluchte innerlich mein loses Mundwerk und beschloss, mich für den Moment besser zu beherrschen.
    Doch der Herzog hakte nach. »Was weißt du von dem anderen Papst, von Alexander? «
    »Es wird gesagt, Alexander, früher Anselm von Lucca genannt, stamme aus hohem Mailänder Adel und habe sich schon früh der Pataria angeschlossen, der mailändischen Volksbewegung. Deren Führer behaupten, dass sie gegen den reichen, verweltlichten Klerus kämpfen. «
    Ich hatte große Bedenken, schon wieder übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Abt Warinharius von St. Blasien war jedenfalls entschieden der Meinung, dass Äbte und Bischöfe die ihnen anvertrauten Güter zur Ehre Gottes mehren sollten, nicht um die eigene Macht zu stärken. »Manch einer kann zwischen dem, was des Herrn ist, und der eigenen Habsucht und Machtgier nicht mehr unterscheiden«, hatte er mir erklärt. »Denn sie kommen nicht durch gottgefälligen Lebenswandel und christliche Demut in ihre Ämter, sondern weil sie schamlos darum schachern. Wessen Familie das meiste Gold für die königliche Schatzkammer aufbringen kann, der wird Bischof.« Der Abt von St. Blasien

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