Waldos Lied (German Edition)
hatte neben all seinen anderen Eigenschaften auch eine feste Meinung zu vielen Fragen, insbesondere aber zu dieser. Er schätzte die Simonie, den Ämterkauf, nicht — um es einmal gelinde auszudrücken. Außerdem war er ein energischer Verfechter des Zölibats der Priester, ganz wie der frühere Papst Leo IX. In einem Punkt war er aber zutiefst unzufrieden mit Leo. In seiner Amtszeit hatten sich dieser Papst und der byzantinische Patriarch sieben Jahre zuvor feierlich gegenseitig exkommuniziert. Das bedeutete die Spaltung der östlichen und der westlichen Christenheit. »Wir brauchen in diesen unsicheren Zeiten die Einheit der Kirche und nicht die Teilung. Nur dann ist die Kirche ein starker Herrscher im Namen Gottes«, hatte Warinharius mir mehr als einmal gesagt. Gleich darauf musste ich niederknien, um mit ihm zusammen inbrünstig darum zu beten, dass diese Trennung bald beendet sein möge. Deshalb bedeutete die Kirchenspaltung für mich lange Zeit besonders das eine: schmerzende Knie. Es dauerte viele Jahre, bis ich besser verstand, wie unheilvoll diese Teilung sich auswirkte.
Meine Erklärung schien den Herzog zu besänftigen, statt zu verärgern, wie ich befürchtet hatte. »Die Mönche haben dich gut unterrichtet, Zwerg«, riss er mich aus meinen Erinnerungen an meinen Ziehvater Warinharius. »Weißt du auch, wann und wo die Wahl von Honorius II. stattfand? «
Ich nahm meine Gedanken wieder zusammen und fügte mich ohne Murren dieser Prüfung. Langsam begann ich zu ahnen, worauf das Gespräch hinauslief. »Genau am z8. Oktober io6i, weitab der heiligen Stadt Rom auf der Reichssynode in Basel. Wart Ihr auch dort, Herr, als aus Bischof Cadalus von Parma Papst Honorius II. wurde? «
Rudolf bejahte. »Und ich habe ihn unterstützt. Doch es scheint mir, dass der Hof nicht länger auf ihn setzt. Ich bekam entsprechende Nachrichten von der Kaiserinwitwe Agnes und auch aus dem Kloster Fruttuaria bei Turin, einer Gründung des großen Kirchenlehrers Wilhelm von Volpiano. Wie du sicher weißt, unterhält nicht nur die Kaiserin, sondern auch die Familie von Herzogin Adelheid dorthin rege Beziehungen. Sie kennt die Regeln des Klosters aus ihrer Heimat Fruduelle. Doch zurück zu dieser leidigen Angelegenheit. Nun steht Honorius hier vor der Burg und begehrt Aufnahme. Schau in die Zukunft, Zwerg. Was soll ich tun? Wie soll ich ihm begegnen?«
»Wen fragt Ihr, Herr? Meinen gesunden Menschenverstand oder den Wahrsager? «
Rudolfs Antwort war knapp: »Beide.«
Ich zögerte und antwortete dann, wie es mir mein Gefühl eingab. »Lasst ihn ein, bewirtet ihn in allen Ehren und kredenzt ihm Eure besten Weine, versichert ihn Eurer Wertschätzung und dann schickt ihn unverrichteter Dinge wieder fort. Setzt Euch nicht bei Hofe für ihn ein. Denn genau das wird sein Anliegen an Euch sein. Er kennt Eure mächtige Stellung. Was glaubt Ihr, Herr, welcher Papst ist der richtige? Der, der in Basel gewählt wurde, oder jener, den die Kardinäle dazu machten, auch wenn die Wahl nicht ohne Schwierigkeiten ablief? Gebt der Kirche, was der Kirche ist. Honorius II. wird sich nicht halten.«
Der Herzog schaute mich versonnen an. »Woher kommt es, dass du dir da so sicher bist, Wald& Ähnliche Worte gebrauchte auch Kaiserin Agnes in einem Schreiben an mich in dieser Sache. Und Bischof Bucco von Halberstadt, vom Hof beauftragt zu untersuchen, wer denn nun der rechtmäßige Papst sei, entschied sich im Januar ebenfalls für Alexander. Du bist noch jung, zu unerfahren in den Dingen und den Ränkespielen der Großen, um das alles wissen zu können.«
»Vielleicht sehen gerade die klarer, deren Hirn noch nicht von zu vielen Bedenken, Ränken und Erfahrungen verwirrt ist«, erklärte ich altklug. Dabei hatte ich all mein Wissen doch nur von Abt Warinharius. Das Kloster St. Blasien gehörte zwar noch nicht zu den einflussreichsten Mönchsgemeinschaften im Reich, doch Warinharius erfuhr viel. Er pflegte eine rege Korrespondenz mit den Klöstern St. Gallen, Einsiedeln, Reichenau, Cluny und vor allem Fruttuaria, dem Lieblingskloster der Kaiserinwitwe Agnes. Manchmal hatte er mich gerufen, wenn er die Botschaften verfasste, um mir seine Gedanken über den Lauf der Dinge im Reich zu diktieren. Ich denke, er tat es auch, um meine Bildung zu erweitern. Deshalb sprach er nach dem Diktat immer wieder mit mir über den Inhalt. Doch das sagte ich dem Herzog nicht. Es gefiel mir, dass er von meiner Klugheit beeindruckt zu sein schien.
Rudolf von Rheinfelden
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