Waldos Lied (German Edition)
vor der Schlacht von Mellrichstadt sah ich das Schwert zum ersten Mal. In den vergangenen Jahren hatte es sich verhalten wie eine schöne Frau, die einen Mann erst lockt und dann auf geheimnisvolle Art wieder verschwindet. Wenn er die Suche aufgibt, erscheint sie von neuem, und das Spiel beginnt von vorn. So war es auch mit dem Schwert und mir. Immer dann, wenn ich fast bereit war zu glauben, es sei nichts als ein Trugbild, tauchte es wieder auf, und ich erlag seinen Lockungen ein weiteres Mal.
Schon seit einigen Wochen war mir immer wieder ein hochgewachsener Mann im Lager unter den Männern des Königs aufgefallen. Er hatte mich jedesmal finster gemustert, wenn er mich sah, und sich dann abgewandt. Lange Zeit dachte ich mir nichts dabei, obwohl ich verwundert über sein Verhalten war. Auch an warmen Tagen trug der Mann immer einen Umhang. Er war nicht reich, aber doch wie ein wohlhabender Mann gekleidet. Als ich mich bei den Männer Rudolfs nach ihm erkundigte, zuckten sie die Schultern. Offenbar hatte er niemals mit einem von ihnen auch nur ein Wort gewechselt. Er bewegte sich wie ein Geist durch das Lager.
An diesem Tag sah ich ihn wieder einmal von weitem. Erneut musterte er mich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Dieses Mal aber war ich entschlossen, ihn zu stellen. Denn es war mehr als wahrscheinlich, dass Heinrich seine Spione in unserem Lager hatte, die auskundschaften sollten, wie es um die Stärke und die Bewaffnung im Heer von König Rudolf stand.
Als er mich kommen sah, wandte er sich wieder ab. Doch ich heftete mich an seine Fersen.
»He, Ihr da. Haltet an, ich will Euch sprechen.«
Er schien mich nicht zu hören, denn er beschleunigte seine Schritte.
Wieder rief ich aus Leibeskräften. »Halt, Soldat, bleibt stehen!«
Wieder reagierte er nicht, und so lief auch ich schneller. Er hatte aber längere Beine als ich. Es gab für mich kaum eine Möglichkeit, ihn einzuholen.
Da brüllte ich noch lauter: »Kämpfer Rudolfs, haltet diesen Mann, er ist ein Spion Heinrichs! « Als die Männer mich brüllend und gestikulierend hinter dem hochgewachsenen Fremden her rennen sahen, schlossen sie sich mir an, ebenfalls schreiend und mit wilden Gesten.
Als der so Verfolgte das merkte, wandte er sich kurz nach seinen Verfolgern um. In diesem Moment kam ein Windstoß, und sein Umhang öffnete sich. Da sah ich das prächtige Schwert, das er an seiner Seite trug. Edelsteine funkelten im Sonnenlicht. Es war nur ein kurzer Moment, kaum länger als ein Lidschlag. Dennoch durchfuhr mich dieser Anblick wie ein Blitz.
Sofort zog der Unbekannte seinen Umhang wieder eng um sich. Dann begann er zu laufen, schneller, als ich einen Mann jemals habe laufen sehen. Er flog förmlich über den Boden und hatte bald einen großen Abstand zwischen sich und seine Verfolger gebracht — von mir ganz zu schweigen. Kurz darauf war er auch schon in einem Waldstück verschwunden.
König Rudolf ließ daraufhin mehrere Stunden lang die Gegend absuchen. Doch von dem Fremden fand sich keine Spur. Noch nicht einmal ein Fußabdruck.
Am Abend sprach ich mit Beringo und Meginfried über den seltsamen Fremden.
»Ich habe ihn auch schon mehrmals gesehen«, erklärte mir Beringo. »Aber ich habe mir nichts weiter dabei gedacht. In diesem Lager gibt es viele, die ich nicht kenne. Doch wohin mag er nur geflohen sein?«
»Höhle in die Erde gegraben«, mischte sich Meginfried ins Gespräch. Er hatte sich vermutlich aus Faulheit inzwischen wieder so daran gewöhnt, sich in wenigen Worten auszudrücken, dass er kaum noch anders redete.
Mein Onkel blickte nachdenklich zu dem Waldstück hinüber, in dem der Fremde verschwunden war. Er schmunzelte: »So wird es sein. Ich habe mich schon gefragt, wie er es anstellen konnte, immer unsichtbar zu bleiben. Aber wir haben ihn ja immer nur über der Erde gesucht«, meinte er. »Dennoch finde ich es schon ein wenig seltsam, dass ausgerechnet Waldo ständig solche Dinge passieren. Ich erinnere mich noch sehr gut an die >Stimme »Nun, ständig kann man nicht gerade sagen«, widersprach ich. Aber im Stillen stimmte ich ihm zu.
Und dann, aus heiterem Himmel, meinte Beringo nachdenklich: »Ihr habt ja sicher auch das Schwert bemerkt, das er am Gürtel trägt. Es ist ein außergewöhnlich wertvolles und sehr altes Stück. Als ich einmal nahe an ihm vorbeiging, streifte ich ihn, und sein Umhang blieb an meinem Dolch hängen. Da sah ich den Griff der Waffe. Er ist mit vielen Diamanten und Rubinen besetzt, so
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