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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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darauf, mit meinem Onkel und Meginfried durch das Land zu ziehen, auf die Gespräche am Feuer unter den Sternen, auf die gemeinsame Jagd. Ich hatte mehr als genug von diesen ständigen Festen, Jubelfeiern und dem nichtssagenden Geplänkel bei Hof.
    Daraus würde nun leider nichts werden. Ich musste als Berater des Königs standesgemäß auftreten, auf der Reise bei kleineren und größeren Herren um Quartier bitten und dabei so manches verwanzte Nachtlager in Kauf nehmen, zusammen mit vielen anderen in Sälen schlafen, in denen neben Hühnern und Schweinen auch Ratten und Mäuse hausten. In den Klöstern, in denen wir abstiegen, war es meist reinlicher. Aber auch nicht immer. Manche Nacht verbrachte ich deshalb damit, mich überall zu kratzen, wo ich von Wanzen und Läusen gebissen worden war, die Ratten davon abzuhalten, meine Zehen für eine schmackhafte Mahlzeit zu halten oder mir verzweifelt die Ohren zuzuhalten, weil jemand durchdringend und ausdauernd schnarchte, oder dessen übelriechende Ausdünstungen ertragen zu müssen. Ich sehnte die Zeit zurück, in der ich nur der Zwerg des Herzogs oder Dobrogen von Missilac gewesen war und nicht der würdige Berater eines Königs.
    Ich schämte mich sehr schnell für meinen Hochmut, als wir durch Sachsen heimwärts zogen. Im Gegensatz zu den Menschen hier hatte ich keinen Grund zu klagen. Zum ersten Mal sah ich mit eigenen Augen, was ich bisher nur von Hörensagen kannte: Die Männer Heinrichs hatten eine tiefe Spur der Verwüstung durch dieses einstmals blühende Land gezogen. Überall erwarteten uns zerstörte Weiler und Dörfer, abgebrannte oder halb zerstörte Häuser, verlassene Gehöfte und verschreckte Kinder mit hungrigen Augen. Schwert und Feuer hatten schaurig gewütet. Die wenigen Bauern, die noch lebten, waren dabei, die Felder wieder zu bestellen. Doch so mancher Acker lag brach, die Erde war schwarz von Feuerstürmen, die im Getreide gewütet hatten. Selbst viele der Adligen, bei denen wir übernachteten, besaßen fast nichts mehr, um sich selbst und ihre Leute zu ernähren. Jeder, der noch ein halbwegs dichtes Dach über dem Kopf hatte, konnte sich glücklich schätzen. Ich sah aber auch erste, leise Anzeichen einer erwachenden Hoffnung, das erste Grünen neuen Lebens, Äcker, auf denen bereits wieder Nahrung für die Menschen wuchs.
    Wir gaben, was wir konnten. Viele Male war es mehr, als wir schuldig waren. Wir mussten bei allen höheren und niedrigeren Gefolgsleuten des Königs übernachten, sonst hätten sie sich gekränkt gefühlt. Außerdem hatte Rudolf mir Nachrichten für sie mitgegeben. So kam es, dass wir auch bei jenen einkehrten, die selbst nichts mehr hatten. Viele Male teilten wir unsere Vorräte mit Bauersleuten, deren Vater, Sohn oder Mutter ermordet worden war.
    Wir begegneten zahllosen Waisenkindern, die ziellos durch das Land irrten. Sie hatten gesehen, wie ihre Mütter und Schwestern vergewaltigt wurden, wie die Truppen des Königs ihre Väter und Brüder erschlugen, wie ihre Häuser brannten.
    Sie hatten sich schließlich in wilden Horden zusammengetan, die Diebstähle begingen und sogar Reisende überfielen, um zu überleben. An uns wagten sie sich jedoch nicht heran, meine Eskorte war zu groß, ein Angriff zu gefährlich.
    Die größeren schwangen die Knüppel und warfen die Steine, die kleineren Kinder wurden als Kundschafter oder Wachen eingesetzt, obwohl sie manchmal noch nicht richtig laufen konnten. Jedes hatte in einer solchen Gruppe seine Aufgabe.
    Doch die Größeren nahmen sich der Kleineren zumeist auch sehr fürsorglich an. So schützten sie sich. Manchmal waren es nur drei oder vier, manchmal zehn, manchmal aber auch zwanzig oder dreißig. Dann wurden sie zu einer großen Plage für die Bauern, die selbst nichts hatten, denn sie stahlen wie die Raben. Sie halfen sich eben selbst, so gut es ging, und manche von ihnen überlebten sogar. Das war die größte Sünde Heinrichs: was er und seine Männer den Kindern Sachsens angetan hatten.
    Wir fühlten uns wie von einem Alpdruck befreit, als wir schließlich wieder in Gegenden kamen, in denen Frieden herrschte, als wir bestellte Äcker und gesundes Vieh sahen und in lachende Kinderaugen blickten. Ich glaube, erst durch diese Reise begriff ich wirklich, was Gewalt bedeutet, wieviel Grauen, Elend und Leid dadurch entsteht.
    Eines Nachts erreichte uns ein Reiter König Rudolfs. Mit verhängten Zügeln sprengte er in unser Lager, das wir im Freien aufgeschlagen hatten. Sein

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