Waldos Lied (German Edition)
möge, von dem im folgenden die Rede sein wird. Es gebührt einem Edleren als meinem Gemahl. Denn es trägt eine große Macht in sich. Eine Macht, die Kaiser und Könige beugt und all jene mit einem furchtbaren Fluch belegt, die es unrechtmäßig besitzen und seine Kraft für üble Zwecke verwenden wollen.
Durch Unrecht kam es in meine Hände. Ich erfuhr davon durch die letzte Beichte eines Mannes, der unter entsetzlichen Qualen starb. Auch das furchtbare Ende meines Lebens kennt Ihr nun. Es soll allen, die diese Zeilen lesen, zur Warnung dienen.
Möge der Herr verhüten, dass noch weiteres Unrecht daraus entsteht. Nur der Allmächtige, so Er es will, kann das Unheil abwenden, das das Geheimnis birgt, wenn es in falsche Hände kommt. Denn es geht um nichts weniger als um Splitter des Kreuzes unseres Herrn Jesus. Sie sind verborgen im Griff eines mit Diamanten und Rubinen reichverzierten Schwertes. Die Waffe wurde von dem mächtigen Spross eines Wikingers einst im Heiligen Land gestohlen. Doch das Schwert hat den Dieb bestraft.
Möge der Herr mir dereinst in der anderen Welt gnädig sein. Betet für mich und die Rettung meiner Seele.
Mathilde, Tochter Heinrichs
Dieser letzte Schrei einer Verzweifelten wühlte mich zutiefst auf. Er war der letzte Funke zur Entzündung eines lodernden Feuers des Hasses auf jenen Mann, den der Allmächtige zu meinem weltlichen Herrn bestimmt hatte. Die Scheite, die seine Nahrung bildeten, waren durch Rudolfs Taten gegen seine Gemahlin schon lange aufgeschichtet und leicht entflammbar. Als hätten sie nur auf diesen Funken gewartet, um in Flammen aufzugehen. Damals dachte ich nicht darüber nach, dass der Haß auch meine eigene Seele verwüstete. Ich gedachte nicht der Warnung, die Mathilde mir und allen, die diese Zeilen lasen, mit auf den Weg gegeben hatte.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, alles zu berichten, was in diesen Pergamenten stand. Deshalb nur so viel: Vor vielen Jahren war ein Knabe zusammen mit einem wertvollen alten Schwert von zwei Rittern aus der Hütte eines Köhlers geraubt worden. Anhand der Verletzungen, die dem Kind zugefügt worden waren, erkannte ich unschwer, dass ich dieser Knabe gewesen sein musste. Weiter hieß es, einer der Ritter und Mörder meiner Eltern stamme aus der Bretagne, der andere aus der Normandie. Beide hatten sich als Söldner Rudolfs in Burgund kennengelernt. Der Normanne erzählte dem Bretonen im Rausch vom Verschwinden eines wertvollen Schwertes, in dessen Griff Holzsplitter aus dem Kreuz des Herrn verborgen waren. Einer davon war fast so groß wie jener, der zum Kronschatz König Heinrichs gehörte. Das Schwert war seinem Besitzer gestohlen worden. Wem es einst gehört hatte, war nicht vermerkt. Nur, dass es ein Zeichen trug. Mathilde schrieb: »Es wurde der Königin der Dornen zugeeignet. « Damals konnte ich mit diesem Satz nichts anfangen.
Die beiden Ritter hatten sich jedenfalls auf die Suche nach diesem unermesslichen Schatz begeben, seine Spur ausfindig gemacht und das Schwert schließlich in der Hütte meiner Eltern gefunden. Doch wie es in die Köhlerhütte gekommen war, sagte Mathildes Bericht nicht.
Der Bretone war kurz darauf an einer üblen Bauchwunde und unter schrecklichen Qualen in der Obhut von Herzogin Mathilde gestorben. Bei sich hatte er nur einen verkrüppelten, sterbenskranken Knaben mit gebrochenen Beinen gehabt, sein Geschenk an die kindliche Herzogin. Die Verwundung des Mannes stammte vom Schwert des Kreuzes. Sein Gefährte, der Normanne, hatte es ihm mit Gewalt entrissen und war damit verschwunden, in der Überzeugung, sein Gefährte werde niemandem mehr davon erzählen können. Das Pergament berichtete leider nicht, wie der Bretone schließlich trotz seiner schweren Verwundung zu Herzogin Mathilde gelangt war. Doch es gab seine letzte, eindringliche Warnung wieder, Worte, die sich in meinem Kopf eingebrannt haben: »Wer immer dieses Schwert des Kreuzes findet, der hüte sich vor seinem Fluch. Nur Gott der Allmächtige, dem es gehört, kann ihn lösen.«
Das Leben in St. Blasien ging in seinen gewohnten Bahnen weiter, als wäre nichts geschehen, als würden diese Mauern nicht Schriftstücke bergen, die von einem mächtigen Geheimnis erzählten. Ich konnte mir nicht vorstellen, wo sie sein mochten. Doch es musste sie geben. Plötzlich erinnerte ich mich wieder an jene schon lang vergessene Begegnung mit einem der Söldner Rudolfs. »Junge des Schwertes« hatte er mich genannt. Abt
Weitere Kostenlose Bücher