Waldos Lied (German Edition)
Wasserprobe naht, mein Sohn. Diese Schriftstücke nennen Tag und Stunde. Das eine ist an den Bischof von Konstanz gerichtet, das andere an Bischof Burchard von Basel. Sie müssen das Gottesurteil überwachen und es dann auslegen. Sorge dafür, Bruder, dass sie von einem Boten auf den richtigen Weg gebracht werden. Und morgen will ich die Durchführung des Gottesurteils auch unter den Mönchen und Hintersassen des Klosters verkünden.«
Ich neigte stumm den Kopf und übernahm die Botschaften. Und ich brachte sie auf den richtigen Weg. Mein Bote war ein Feuer unter einem wilden Apfelbaum, das die Nachricht vom Gottesurteil mit seinem Rauch himmelwärts trug.
Der Tag des Gottesurteils war kalt und regnerisch. Abt Giselbertus und viele meiner Mitbrüder hatten sich am nördlichen Ufer des Rheins versammelt, direkt gegenüber Rudolfs Burg auf dem Stein. Es waren außerdem einige Brüder aus dem Kloster Muri mit ihrem Abt angereist. Auch Bauern, Hintersassen, Mägde und Knechte im Sonntagsgewand, die Bediensteten der Burg und anderes Volk waren herbeigeströmt. Viele hatten von der Wasserprobe gehört und wollten einen Grafen ertrinken sehen. Ich sah aber auch Ritter und andere Vasallen Rudolfs mit ihren Familien, die das Ufer säumten. Es hatten sich sogar einige Spielleute und Bauern mit ihren Waren eingefunden, die hofften, an diesem Tag ein gutes Geschäft zu machen.
Glücklicherweise führte der Fluss zu dieser Zeit nicht allzuviel Wasser. Die Tage der Schneeschmelze waren längst vorbei. Die Sonne schien wie eine blasse Scheibe durch die Wolken, als Graf Werner, von Männern des Herzogs schwer bewacht, mit einem Floß zu uns ans Ufer gebracht wurde. Seine Wärter wurden von Rudolfs prächtig herausgeputztem Kastellan befehligt. Sie hatten Werner von Habsburg mit Stricken gefesselt. Auch zwischen seinen Füßen war ein Seil angebracht, so dass er nur sehr kleine Schritte machen konnte. Der Graf war mager geworden, seine Kleidung starrte vor Dreck und Kot. Seine ehemals freundlichen Augen blickten gequält. Man konnte sehen, wie sehr ihm die Gefangenschaft und die quälende Ungewissheit über sein Schicksal zugesetzt hatten. Dennoch hatte er sich seine Würde bewahrt und hielt sich straff und aufrecht.
Abt Giselbertus hob die Hand zur Begrüßung. »Seid Ihr bereit, Euch dem Urteil des Allmächtigen in dieser Stunde zu unterwerfen? Wie Ihr seht, ist leider keiner derer gekommen, die befugt sind, Euch der Probe zuzuführen. Weder der Bischof von Konstanz noch der Bischof von Basel sind zur anberaumten Zeit erschienen. Und auch der Herzog selbst weilt noch in Rom beim Papst. Doch er hat befohlen, die Probe so schnell wie möglich durchzuführen, damit Papst Alexander und er Gewissheit hätten. So liegt es also an mir Unwürdigem, das Nötige in die Wege zu leiten. Ich frage deshalb noch einmal. Seid Ihr bereit?«
»Ich bin bereit zu tun, was ich tun muss.« Die Stimme Graf Werners klang überraschend stark und klar. »Ich bin mir sicher, dass der Allmächtige in seiner Weisheit die Wahrheit ans Licht bringen wird. Denn ich bin mir keiner Schuld bewusst, keines unziemlichen Verhaltens gegenüber Adelheid, der Gattin meines Verwandten Rudolf. Im Gegenteil, ich bewachte ihre Ehre wie meine eigene, als ihr Gemahl abwesend war. Deshalb schwöre ich, Werner von Habsburg, jetzt im Angesicht des Herrn und bei meiner unsterblichen Seele, dass ich sofort auf meine Burg zurückkehren und das Urteil des Papstes abwarten werde, sollte ich diesen Tag überleben. Denn so, wie Rudolf sich dem weisen Urteil des Papstes Alexander beugt, so beuge ich mich dem Euren, als wärt Ihr der Bischof.«
Da hatte Abt Giselbertus seinen Schwur, den er gefordert hatte. Öffentlich und für alle Anwesenden hörbar. Graf Werner von Habsburg hatte sich genau an unsere Abmachungen gehalten. Nun war es an mir, das Notwendige in die Wege zu leiten.
Wieder hob Giselbertus die Hand. »So sei es denn. Verlangt es Euch danach, Eure Seele in der Beichte zu reinigen, die Vergebung des Herrn für Eure Sünden zu erflehen und den Leib des Herrn zu empfangen?«
Werner nickte. »Ich bitte darum, Vater Abt. Ich bitte auch um die Vergebung meiner Sünden. Doch nicht der, deren man mich bezichtigt.«
Unbemerkt hatte ich mich während dieses Wortwechsels zu den beiden Männern gesellt. »Lasst dem Grafen für die Beichte die Fesseln abnehmen, ehrwürdiger Vater. Er soll seine Sünden bereuen und im Angesicht des Allmächtigen niederknien können«, schlug ich
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