Waldos Lied (German Edition)
ich wollte nur meine Augen verbergen, damit niemand sehen konnte, wohin ich wirklich schaute. Diese Vorsichtsmaßnahme wäre allerdings nicht notwendig gewesen. Denn alle blickten gebannt auf den Grafen.
Der Kastellan Rudolfs raunzte einen Befehl. Dann hoben die Männer des Herzogs Werner von Habsburg hoch und schleppten ihn wie ein Bündel alter Kleider zurück auf das Floß. Das Todesschiff Werners war durch Seile mit der Burginsel verbunden. Hand um Hand, quälend langsam, zogen seine Wärter es daran in die Mitte des Flusses. Dorthin, wo die Strömung am stärksten war.
Wieder bellte der Kastellan einen Befehl. Aller Augen wandten sich Giselbertus zu, der würdevoll nickte. Daraufhin zerrten die Henkersknechte den gebundenen Grafen bis an den Rand des Floßes. Dort stand er, eine dunkle Figur vor dem Grau des Himmels, und erwartete sein Schicksal. Unvermittelt gab ihm der Kastellan einen heftigen Stoß. Das Wasser spritzte hoch auf, als Werner kopfüber in die Strudel stürzte. Sein Schrei klingt mir bis heute in den Ohren. Er versank wie ein Stein in den wirbelnden Fluten des Rheins.
»Seht, das Wasser hat ihn angenommen. Er war unschuldig, wie er gesagt hat.« Das Raunen wurde immer lauter, die Menschen immer aufgeregter. Die Zeit verging, und Werner tauchte nicht wieder auf.
Da setzte das Schlagen von Trommeln ein. Der Klang einiger Flöten kam hinzu, die Spielleute begannen ihren fröhlichen Tanz. Immer mehr Menschen wandten sich vom Ufer ab und ihnen zu. Als die Gaukler dies sahen, zeigten auch sie, was sie konnten, schlugen Purzelbäume und Saltos. Dann stieg einer auf die Schultern eines anderen und jonglierte mit fünf Äpfeln. Gleich neben ihnen pries ein rundlicher Bauer lautstark sein Gemüse an und das Korn, das in Körben auf dem Boden stand. Eine Kräuterfrau bot allerlei Liebestränke, Holundersaft und Heiltinkturen an, während ein Bader mit einem groben Messer im aufgerissenen Mund eines schmächtigen Mannes wühlte, dessen dickgeschwollene Backen von gewaltigem Zahnweh zeugten. Der Malträtierte versuchte zu protestieren. Doch der Bader war schneller und hielt schließlich triumphierend einen gewaltigen schwarzen Zahnstumpf in die Höhe, um die Zuschauer von seiner Kunst zu überzeugen. Seinem Opfer hatte es die Sprache verschlagen. Der kleine Mann zitterte wie Espenlaub und hatte die Hände vor den Mund gepreßt. Ein dünner Faden Blut lief ihm über das Kinn, den Hals hinunter auf sein grobes Wams. Überall waren jetzt Gespräche und Lachen zu hören. Ein Wanderprediger schrie lauthals von einem Stein aus über die Köpfe hinweg. Doch niemand interessierte sich für die eindringlich geschilderten Qualen des Fegefeuers, die jeden Sünder erwarteten. Die Menschen hatten für diesen Tag genug davon. Nun wollten sie nur noch ihr Vergnügen. Der Mann im Fluss und sein Kampf ums Überleben waren längst eine ferne Erinnerung.
Nur die Männer des Herzogs beobachteten das Wasser noch eine ganze Weile und stocherten dann mit Stangen darin herum, wohl in der Hoffnung, den toten Leib Werners zutage zu fördern. Doch sie fanden ihn nicht. Als sie nach einer Stunde aufgaben, bemerkte ich, wie sich einige Mönche aus Muri vorsichtig aus der Menge lösten und flussabwärts strebten. Niemand achtete auf sie. Abseits des Trubels, weiter stromabwärts, zogen sie Werner von Habsburg aus dem Fluss. Er hatte seine Fesseln wirklich sprengen können und war ans Ufer geschwommen. Im flachen Wasser einer kleinen Bucht hatte er sich dann noch eine ganze Weile im Schilf verborgen gehalten — mit dem Kopf unter Wasser und einem Schilfrohr im Mund, durch das er atmen konnte.
Doch das alles erfuhren wir erst sehr viel später durch ein Schreiben des Abts von Muri. An diesem Tag und lange danach, konnte ich nur hoffen, dass Werner von Habsburg gerettet worden war. Ich habe ihn niemals wiedergesehen.
Die erste Nachricht, die uns Wochen später in dieser Angelegenheit erreichte, betraf meine Herrin Adelheid und Herzog Rudolf von Rheinfelden nur indirekt. Ich betrachtete sie als gutes Zeichen: Der Papst hatte sich geweigert, die Ehe König Heinrichs mit Bertha von Turin zu lösen. Ja, mehr noch, er hatte sogar den ehrwürdigen Legaten Petrus Damiani, Kardinalbischof von Ostia, zum Hoftag nach Mainz entsandt. Der König hatte die Versammlung einberufen, um seine Scheidung durchzusetzen. Der päpstliche Legat Damiani hatte den Befehl, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Fürsten der Scheidung zustimmten. Die
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