Waldos Lied (German Edition)
Wilhelm von Aquitanien. Er pflegte damals gute Beziehungen zum Hof des Normannenherzogs Robert I., einem Spross der Wikinger. An diesem Hof war übrigens oft der große Gelehrte Wilhelm von Volpiano, ein Schüler von Cluny, zu Gast. Doch ich schweife ab. Ich hoffe, meine Geschichte langweilt Euch nicht. «
»Ich versichere Euch, es gibt nichts, was Ihr sagen könntet, das mich langweilen würde«, erklärte ich hastig. Ich war sehr neugierig auf diese Geschichte. Außerdem hatte ich für diesen Tag schon genügend gesprochen. Das Zuhören lag mir ohnehin mehr.
Die Mutter des Königs schien belustigt. »Meine liebe Freundin Adelheid, die Herzogin von Schwaben, verriet mir schon, dass Ihr wisst, wie man den Frauen schmeichelt.«
»Nur jenen, die es auch verdienen«, erklärte ich, etwas aus der Fassung gebracht.
»Ich wollte Euch nicht zu nahe treten, Waldo von St. Blasien«, entgegnete Agnes von Burgund mit freundlichem Spott in der Stimme. »Dann lasst mich nun mit meiner Geschichte fortfahren. «
Sie lächelte mich an. »Kurz nachdem Robert seinem Vater als Herzog der mächtigen Normandie nachgefolgt war, gebar ihm um das Jahr 102.7 herum eine Gerberstochter mit Namen Herlève einen Sohn. Robert liebte sie sehr, auch wenn er sie nicht heiraten konnte. Die Eltern nannten das Kind Wilhelm. Inzwischen ist er selbst Herzog der Normandie und sein Name in der ganzen Welt bekannt. Vor einigen Jahren eroberte dieser Wilhelm das mächtige Reich der Angelsachsen. Er wurde ihr König.«
Ich nickte. Jeder kannte diese Geschichte.
Sie sah mich lächelnd von der Seite an und fuhr dann fort. »Als Wilhelm etwa sechs Jahre alt war, beschloss sein Vater Robert, ins Heilige Land zu pilgern und Buße zu tun.
Mit großem Gepränge hielt er dort Einzug, und viele Menschen buhlten um seine Gunst. Doch nachdem ihm seine alten Sünden erlassen worden waren, beging er eine neue. Er hatte von einem Schwert gehört, überreich verziert mit Rubinen und Diamanten. In dessen Griff waren Splitter aus dem Holz jenes Kreuzes verborgen, an das man den Sohn Gottes einst genagelt hatte. Sie sollten so lang sein wie eine ausgestreckte Männerhand, beinahe ebenso groß wie die mächtige Reliquie, die zum Thronschatz des Reiches gehört.«
Agnes von Burgund machte eine Pause. Ich zitterte innerlich vor Aufregung. Da war es wieder, das Schwert. Warum konnte ich mich nur nicht an die Waffe erinnern, das ich als Vierjähriger in unserer Hütte gesehen haben musste!
»Bitte, sprecht weiter, Herrin«, drängte ich die Mutter Heinrichs.
Sie musterte mich erstaunt. »Ihr scheint große Teilnahme für meine Geschichte zu empfinden. Bei mir ist das verständlich, denn wie Ihr bald sehen werdet, hat das Schicksal Wilhelms viel mit dem meines Sohnes, dem König, gemeinsam. Aber was ist es bei Euch?«
Ich wand mich. Nur zu gut waren mir die Worte ihrer unglücklichen Tochter Mathilde in Erinnerung. Sie hatte in ihrem Abschiedsbrief eindringlich davor gewarnt, über das Schwert, seinen Fluch und sein Geheimnis zu sprechen. Vielleicht hatte Agnes von Burgund ja einen Anspruch auf den letzten Brief ihrer Tochter. Doch zuerst musste ich ihre Geschichte zu Ende hören, um sicher sein zu können, dass es sich um dasselbe Schwert handelte. »Ich bitte Euch, hohe Frau, ich flehe Euch an, erzählt weiter.«
Sie musterte mich mit plötzlichem Misstrauen und fragte: »Schwört Ihr mir mit einem heiligen Eid, dass Ihr mir danach Eure Geschichte erzählt?« Natürlich hätte ich sämtliche Eide geschworen, um das Ende der Erzählung zu hören. Also schwor ich.
Sie sah mich noch einmal prüfend an und fuhr dann fort. »Nun, Herzog Robert hörte von jenem Schwert und wollte es an sich bringen. Denn wer eine solche Reliquie besitzt, ist fast der Herr der Welt. Bedenkt nur, welche Macht einem Splitter innewohnen muß, der mit dem Blut des Erlösers getränkt ist. Die ganze Lebenskraft von Gottes Sohn hat dieses Stück Holz durchdrungen. Robert bestach unzählige Menschen, um es aus der heiligen kleinen Kirche zu rauben, die über dem Grab des Erlösers steht. Er sagte ihnen jedoch nicht, warum er das Schwert haben wollte. Und er bekam es schließlich.«
Mir lief ein Schauer über den Rücken. Doch Agnes von Burgund bemerkte es nicht. Sie war zu tief in ihre Erinnerungen versunken. Fast hastig sprach sie weiter. »Herzog Robert gelangte also in den Besitz der Waffe, doch er sprach mit niemandem über ihren wahren Wert. Er wollte die Splitter des Kreuzes erst nach der
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