Waldos Lied (German Edition)
einziges Wort. Doch Adelheid von Rheinfelden nickte mir leicht zu. Da wusste ich, dass sie mit Agnes von Burgund darüber gesprochen hatte.
Ich grübelte die ganze Nacht darüber nach, was ich dieser mächtigen Frau über unser Kloster St. Blasien erzählen konnte, damit sie einen möglichst guten Eindruck davon bekam und ihre Unterstützung gut aufgehoben wusste.
Pünktlich zur vereinbarten Stunde fand ich mich am Treffpunkt ein. Ich war noch nie im Rosengarten von Fruttuaria gewesen. Ein Versäumnis, wie ich jetzt feststellen musste. Ich fand die Kaiserswitwe allein, ohne Begleiterin, was mich in Erstaunen setzte. Es ist nicht üblich, um nicht zu sagen unziemlich, dass Frauen von Stand sich allein mit einem Mann treffen — auch wenn es sich um einen kleinwüchsigen Mönch handelt. Agnes von Burgund winkte mich freundlich zu sich, als sie mich sah. Ich wollte ihr auf die vorgeschriebene Weise meine Ehrerbietung erweisen, da hielt sie mich mit einer ungeduldigen Geste davon ab. »Dieser Ort ist zu schön, und ich bin viel zu ungeduldig zu hören, was Ihr mir zu berichten habt, Waldo von St. Blasien, als mich mit Förmlichkeiten aufzuhalten. Ich habe auch meine Frauen nicht mitgebracht, denn es könnte in unserer Unterhaltung so manches geben, was besser nicht an fremde Ohren gelangt. Und obgleich Ihr ein Mann seid, werdet Ihr einer alten Frau wie mir wohl kein Unrecht antun, nicht wahr? « Sie lachte mich an. »Ich bitte Euch herzlich, erzählt mir in aller Ausführlichkeit von Eurem Kloster St. Blasien. Und erzählt mir von diesem leidigen Zwist zwischen Rudolf und seiner Gemahlin Adelheid. Verschweigt mir nichts, sprecht offen.« Wieder erwähnte sie den Mordanschlag mit keinem Wort.
Agnes von Burgund war keine Frau, der die halbe Wahrheit genügte — sie war viel zu klug und erfahren. Ihre Augen, fast so dunkel wie die ihres Sohnes, blickten mich aufmerksam und offen an. Das Leben hatte ihr sicher manchmal übel mitgespielt, doch das Leid hatte sie nicht gebeugt. Ihr ganzes Wesen strahlte immer noch die Sicherheit eines Menschen aus, der es gewohnt ist zu befehlen. So tat ich also, um was sie mich gebeten hatte. Ich ließ all die schönen Phrasen beiseite, die ich mir zurechtgelegt hatte, und berichtete in schlichten Worten über das Leben und Wirken unserer Abtei St. Blasien. Sie war eine gute Zuhörerin und stellte so manche Frage, die mich zum Nachdenken anregte. Mehr als eine Stunde lang gingen wir, vertieft in unser Gespräch, zwischen den Rosenbeeten hin und her. Meine Achtung vor dieser Frau, über die so viel Übles geredet worden war, wuchs immer mehr. Man warf ihr vieles vor. Dass sie ihren Sohn nach seiner Entführung nicht zurückgefordert hatte, das Verschleudern von Land, Lehen und Pfründen der Krone und eine Liebesbeziehung zu ihrem engsten Ratgeber zu ihrer Zeit als Regentin. Doch was immer auch ihr vorgeworfen werden konnte, sie war ein kluger, scharfsichtiger und warmherziger Mensch.
»So schweigsam, Waldo von St. Blasien? Kann es sein, dass Ihr über eine törichte Frau nachdenkt, die in ihrem Leben vieles falsch gemacht hat und doch nur das Beste wollte?«
Sie hatte mich ertappt. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als so zu tun, als studierte ich gerade intensiv die halbgeöffnete Blüte einer besonders schönen Rose am Rande des Beetes. Agnes von Burgund tat so, als bemerke sie nichts von meiner Verwirrung. »Ihr liebt Rosen offensichtlich ebenso wie ich selbst«, meinte sie versonnen. »Das ist erstaunlich für einen Mann.«
Ich hatte mich wieder gefasst und nickte. »Ihre Schönheit erinnert an das Paradies, die Dornen an die Hölle.«
»Nun, da haben wir ja auch noch einen Dichter und nicht nur einen Kirchenmann. Der Vater Abt von Fruttuaria war einst so freundlich, mir zu erlauben, hier mit Hilfe der Brüder und einiger Hintersassen diesen Rosengarten anzulegen.«
Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander. Meine Beine waren zwar noch immer dick verbunden, doch sie schmerzten kaum noch. Die Bewegung tat ihnen gut. Wir hingen beide unseren Gedanken nach. Durch das gemeinsame Schweigen entwickelte sich eine merkwürdige Vertrautheit zwischen uns. Und so sprach die Kaiserinwitwe zu mir wie zu einem alten Freund.
»Wenn ich Rosen sehe, dann muss ich immer über eine Geschichte nachdenken, die sich zutrug, als ich noch eine junge Frau war«, begann Agnes von Burgund schließlich versonnen. »Sie hat meine Jungmädchenphantasie lange bewegt. Ich erfuhr sie von meinem Vater,
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