Waldos Lied (German Edition)
stieß er sie aus den Reihen der Gläubigen aus und verurteilte ihre Seele zur ewigen Verdammnis.
König Heinrich war nicht nur deshalb zornig über diese Wahl. Viel schwerer wog, dass Hildebrand zum neuen Papst bestimmt worden war, ohne dass man ihn, der auch König von Italien war, vorher um sein Einverständnis gebeten hatte. Das war ein Angriff auf seine verbrieften Rechte.
Hildebrand, hörten wir, sei klein, hässlich und buckelig. Obwohl ich über das Hinscheiden des Papstes Alexander traurig war, fühlte ich mich durch diesen Umstand doch in gewisser Weise mit Gregor VII. verbunden. Es kam mir selbst kindisch vor, doch so empfand ich nun einmal.
Ich hatte im übrigen wenig Zeit, viel über den neuen Mann auf dem Heiligen Stuhl nachzudenken. Zusammen mit Abt Giselbertus und meinen . Mitbrüdern Udo und Rusten war ich vollauf damit beschäftigt, die Gemeinschaft von St. Blasien an die Regeln des heiligen Benedikt heranzuführen. Unter jenen, die ebenfalls lernbegierig waren, waren auch die Brüder Ruprecht, Oprecht, Heinrad und Rifid aus dem Kloster Muri, dem Kloster von Werner von Habsburg. Ihrem Beispiel sollten mit den Jahren noch viele Brüder aus anderen Klöstern folgen. Und so manch einfacher Mönch aus St. Blasien wurde später Abt in einer dieser Gemeinschaften. Außerdem hatten die Nonnen unseres Frauenkonvents die flehentliche Bitte an Abt Giselbertus herangetragen, doch auch in die Regeln des heiligen Benedikt eingeführt zu werden.
Damit die Nonnen aber durch die Begegnung mit Mönchen nicht zu sehr versucht würden, sollte eine besonders standhafte Nonne mit wachem Verstand ausgewählt werden. Sie würde aus dem Konvent ins Gästehaus übersiedeln und dort die Möglichkeit bekommen, die Pergamente zu kopieren, die wir aus Fruttuaria mitgebracht hatten. Auch die Mönche bestimmten einen aus ihren Reihen, um ihr dabei zu helfen: mich. Vielleicht dachten sie, ein Mann von meiner Statur sei nicht in der Lage, eine Nonne auf den verbotenen Pfad der körperlichen Begierde zu führen. Ich fügte mich diesem Beschluss, obwohl er mich ärgerte. Denn diese neue Aufgabe hielt mich von wichtigeren Pflichten ab, wie ich fand.
Eigentlich hatte ich erwartet, eine der älteren Nonnen im Gästehaus vorzufinden. Doch es wartete eine Überraschung auf mich. Schwester Sophia, wie sie sich als Nonne nannte, war jung, fröhlich und überaus wohlgestaltet. Das konnte man trotz des unkleidsamen Nonnenhabits sehen. Sie hatte große, klare Augen, die in einem grünlichen Grau leuchteten, und volle Lippen. Ich habe niemals wieder einen Menschen kennengelernt, der so aus vollem Herzen lachen, sich über eine Entdeckung so freuen konnte wie sie. Kurz, sie war alles andere als eine dem Jenseits zugewandte Nonne, sondern ein Mensch, der das Leben aus vollem Herzen liebte. Ich begriff schnell, warum sie dennoch für diese Aufgabe ausgewählt worden war. Sie konnte nämlich als einzige der Schwestern fließend lesen. Obendrein hatte sie eine schöne Handschrift. Sie kam aus gutem Hause und war von klein auf in den Tugenden des Glaubens sorgfältig erzogen worden. Dabei hatte sie auch lesen und schreiben gelernt.
Es war eine Freude für mich, sie zu unterrichten und bei der Arbeit des Kopierens anzuleiten. Ihr junger und frischer Geist war aufnahmebereit und unverbildet. Sie liebte es zu lernen und sog alles Wissen begierig in sich auf. Dabei nahm sie nichts, was ich sagte, einfach als gegeben hin. Für eine Frau entwickelte sie sogar einen erheblichen Widerspruchsgeist. Dabei sprühten ihre Augen, bekamen kleine, gelbe Punkte, die mich von Anfang an faszinierten. Gerade diese manchmal sehr kontroversen und hitzigen Diskussionen machten einen großen Teil der Freude aus, die ich bei der Arbeit mit ihr empfand. Sie waren eine Herausforderung für mich und zwangen mich dazu, mich ihr weit mehr zu öffnen, als ich das sonst vielleicht getan hätte. Auf diese Weise lernten wir uns gut kennen. Bald hatte sich Vertrauen und dann Freundschaft zwischen uns entwickelt. Manchmal ahnte sie sogar voraus, was ich sagen wollte, und sprach meine Gedanken aus, bevor ich sie formulieren konnte. Wir arbeiteten in einer Form von Eintracht und Nähe zusammen, wie ich sie mit einer Frau noch niemals erlebt hatte. Aber meine einzige Erfahrungen mit dem schwachen Geschlecht bestanden bis zu diesem Zeitpunkt ja auch nur aus meiner unerfüllbaren Liebe zu Adelheid von Rheinfelden und der körperlichen Erfüllung mit dem Mädchen Adelheid, das mir
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