Waldos Lied (German Edition)
Herzog Rudolf zu König Heinrichs Schwertleite ins Bett gelegt hatte.
Deshalb war ich auch nicht auf die Gefühle vorbereitet, die beim Anblick von Sophia von Tag zu Tag mehr von mir Besitz ergriffen. Anfangs war ich morgens beim Aufstehen einfach nur glücklich darüber, dass ich sie bald sehen und mit ihr sprechen konnte. Ich merkte zuerst noch nicht, wie notwendig ihre Gegenwart für mich geworden war. Doch als sie einmal nicht kam, fühlte ich mich sehr elend. Ich, der ich immer gerne allein gewesen war, um fern von der umtriebigen Welt der Menschen meinen Gedanken nachzuhängen und dem Allmächtigen nahe zu sein, spürte plötzlich eine Unruhe in mir, die ich mir nicht erklären konnte. Lange wollte ich es mir nicht eingestehen, doch die Verschmelzung unserer Gedanken genügte mir schließlich nicht mehr. Tief in meinem Herzen hegte ich sündige Gedanken und wünschte mir nichts mehr als auch die Vereinigung unserer Körper. Viele Wochen vergingen so.
Heute weiß ich, dass Sophia dasselbe empfand, ebenso aufgewühlt war wie ich. Ich konnte die Zeichen, die sie immer wieder verrieten, aber damals nicht deuten. Auch tat sie alles, um mich nicht merken zu lassen, wie es um sie stand, um unsere unschuldige Eintracht nicht zu gefährden. Außerdem dachte sie, ich sei ein heiliger Mann, unempfindlich für alle Anfechtungen des Körpers. Hinzu kam, dass wir niemals allein waren. Sie wurde immer von einer ihrer Mitschwestern begleitet. Zumeist erschien sie zusammen mit einer bärbeißigen Alten, und diese war nun wirklich über und über verrunzelt. Zudem vermutete ich, dass sie halb taub und darüber hinaus fast blind sein musste. Denn sie sprach niemals ein Wort, so dass wir ihre Gegenwart immer schnell vergaßen.
Wir hüteten uns jedoch davor, einander zu berühren. Nur ein einziges Mal spürte ich Sophias zarte Haut. Als sie nämlich einmal im Eifer eines Disputes zugleich mit mir nach einem Pergament griff, das ich ihr zur Verdeutlichung meiner Beweisführung gerade reichen wollte. Ich fühle den Schauer noch heute, den mir dieses unbeabsichtigte Zusammentreffen unserer Hände durch den Körper jagte. Wir waren danach beide sehr verlegen, und es dauerte eine Weile, bis die alte Unbefangenheit wieder da war. Bis heute kann ich mir allerdings nicht erklären, was sie, die nicht nur schön, sondern auch klug war, an mir hässlichem Zwerg fand.
Ich weiß nicht, ob ich mir damals wünschte, dass sie mich für etwas Besonderes hielt. Jedenfalls erzählte ich ihr eines Tages von dem Schwert, flüsternd, damit unsere Wächterin uns nicht verstand. Ich sprach von meiner großen Mission. Von jenen Pergamenten, die Mathilde, die erste Frau Rudolfs, mit mir ins Kloster geschickt haben musste und nach denen ich schon so lange vergeblich suchte. Sie hörte mir, ohne mich zu unterbrechen, zu. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als ich vom Tod meiner Eltern sprach und dem, was damals mit mir geschehen war. Zum ersten Mal teilte ich mit einem anderen Menschen alle meine Gefühle und Gedanken. Und mir war, als würde mit jedem Wort eine große Last von meinen Schultern genommen.
Sophia sagte danach nicht viel. »Wir werden diese Dokumente finden. Ich helfe Euch dabei. Ich werde mich einmal im Frauenkonvent umschauen. Wer weiß, vielleicht sind sie ja dort. Mathildes Vertraute ist mit Sicherheit bei den Nonnen untergebracht worden. Je mehr ich darüber nachdenke, um so wahrscheinlicher kommt es mir vor, dass sie die Schriften im Konvent bei uns versteckt hat.« In meinem Herzen keimte neue Hoffnung. Und ich war zum ersten Mal in meinem Leben nicht mehr allein. Vielleicht war es ein höherer Plan, der mich mit Sophia zusammengeführt hatte.
Nach diesem Gespräch blieb sie eine Woche lang dem Unterricht fern. In schlaflosen Nächten zitterte ich um mein Geheimnis, aber auch um Sophia. Doch dann, eines Tages, als sie endlich wieder kam, konnte ich ihr ansehen, dass etwas geschehen war. Sie schwieg vorerst, bis wir uns in unsere Arbeitsecke im Gästehaus zurückgezogen hatten. Die alte Nonne, die sie immer begleitete, nahm wie üblich ihren Platz ein Stück von uns entfernt ein. So, dass sie uns beobachten konnte, uns aber bei der Arbeit nicht störte. Sophia wandte ihr den Rücken zu und tat so, als sehe sie die Pergamente auf dem Tisch vor sich durch. Dann blickte sie auf und sah mich eindringlich und mit einem solchen Ausdruck der Freude an, dass ich sie beinahe in die Arme gerissen hätte. Ich konnte mich kaum noch
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