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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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beherrschen. Plötzlich griff sie mit ihrer linken Hand in den Ärmel ihres Nonnenhabits, zog etwas vorsichtig heraus und schob es mir leise über den Tisch. Sie sah meinen verdutzten Blick und freute sich darüber. In ihren Augen tanzten die gelben Punkte wie Irrlichter. Mein Herz setzte fast aus, als sie mir zunickte. Unhörbar formten ihre Lippen die Worte: »Ich habe sie gefunden.« Fassungslos starrte ich sie an. Doch sie griff zur Feder, senkte den Kopf und machte sich wieder an die Arbeit des Kopierens, als sei nichts gewesen. Nur ihre Hände zitterten.
    In diesem Moment wusste ich, dass ich sie liebte. Es war ein Gefühl, das mich bis in die Fingerspitzen mit einem so tiefen Glück erfüllte, dass ich es kaum ertragen konnte. Alles andere, was mir bis zu diesem Tag geschehen war, verblasste vor diesem Gefühl. Eine Weile saß ich einfach so da und betrachtete dieses klare, ovale Gesicht mit den gesenkten Lidern und dem schmalen Bogen der Augenbrauen und liebkoste es mit meinem Blick. Ich sah ihre kleinen Hände. Die eine, die bebend auf den Pergamenten lag, die andere, die energisch die Feder gepackt hielt, als wolle sie sich daran festhalten. Ich sah ihren Mund, diesen wunderschönen, vollen Mund. Ihr Körper versteifte sich plötzlich, als habe sie meine Blicke wie eine Berührung gespürt. Ich riss mich zusammen und wandte mich dem zusammengefalteten Pergament zu, das vor mir auf dem Tisch lag.
    Ein kurzer Blick auf die andere Nonne überzeugte mich, dass Sophias Wächterin von dem kurzen Vorfall nichts bemerkt hatte.
    Vorsichtig entfaltete ich das Pergament. Es war staubig, einige tote Fliegen klebten daran und die Reste von Spinnweben. Es musste sehr alt sein, denn die Schrift war an manchen Stellen schon verblasst.
    Schon auf den ersten Blick erkannte ich, dass die Vertraute der Kaisertochter Mathilde dieses Pergament nicht be schrieben haben konnte. Es waren die energischen und etwas unbeholfenen Schriftzüge eines Mannes. Die Sätze waren in einem veralteten Latein formuliert, so dass ich anfangs einige Mühe hatte, sie zu verstehen. Der erste Satz war außerdem unvollständig, und das Pergament trug keine Unterschrift. So, als hätten diese Seiten ursprünglich zu einem viel längeren Text gehört.
     
    »... Heiligen will ich jetzt berichten. Die Geschichte des Schwertes beginnt weit im Westen dieses Landes, dort, wo unsere Welt endet. Die Normannen hatten den Stamm der Bretonen unterworfen. Sie knechteten die Menschen auf grausame und unmenschliche Weise. Da schickte ihnen der Herr in seiner Gnade einen seiner Auserwählten, einen einfachen Mönch aus Britannien, gekleidet in die Gewänder der Armen. Denn auch Sein Sohn wurde einst auf Stroh geboren. Dieser Gottesmann brachte einen großen Schatz zu den Menschen des Stammes der Bretonen, deren Heimat eine wilde Küste mit vielen zerklüfteten Felsen ist. Bei sich trug er zwei Holzsplitter jenes Kreuzes, an dem unser Erlöser einst gestorben ist. Der Herr selbst hat sie ihm gegeben, um auch den letzten Heiden und Zweifler zum rechten Glauben zu bekehren. Da dieser Mönch aber die Schlechtigkeit der Welt kannte, fürchtete er um seinen Schatz. Doch da sandte ihm der Allmächtige eine Vision, und der heilige Mann ließ ein prächtiges Schwert schmieden und zeichnete es mit einer Rose, auf dass er es immerdar erkenne. Im Griff des Schwertes verbarg er die heiligen Holzstücke.
    Als dieser Abgesandte des Herrn nun zu den Bretonen kam und sah, wie sie unter ihren Unterdrückern litten, da wurde sein Herz von großem Mitleid erfasst. Er ließ sich bei ihnen nieder, tröstete sie und berichtete ihnen von der Güte des Herrn und tat, was er konnte, um sie im Glauben zu stärken. Und so baute er sich auf der Halbinsel Batz eine kleine Hütte und richtete sich dort ein. Das war ganz in der Nähe der Siedlung Räis. Und auf einer hohen Felsenspitze einer Halbinsel, die dort weit ins Meer hineinragt, errichtete er ein großes Kreuz zum Zeichen der Hoffnung für die Menschen. Er hatte diesen Ort mit Bedacht gewählt und auf Geheiß des Herrn. Denn der Name, den die Bretonen diesem Ort gegeben hatten, war ein heiliger Name, geboren aus dem Wort Kruzifix, dem Symbol für das Leiden des Sohnes Gottes. Sie nannten den Ort Ar Kroazig. Und am Fuße dieses Kreuzes vergrub der heilige Mann sein Schwert. Er wusste, dass der Allmächtige ihn an diesem Ort zu sich rufen würde, indem er sein Leben um der Liebe und des Glaubens willen hingab.
    Und so wurde das Kreuz ihm zum

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