Waldstadt
der geduckt durchs Unterholz schleicht, oder einer, der das tut, was alle tun? Joggen, Rad fahren, spazieren gehen oder sonst was.«
»Das kommt ganz drauf an, Chef. Einer, der sich gut tarnt, der fällt im Dickicht überhaupt nicht auf.«
»Aber irgendwann muss er mal raus auf die breiten Wege.« Wellmann begann zu verstehen, worauf Lindt hinauswollte. »Beim Morden lässt er sich nicht erwischen und ansonsten verhält er sich wie alle anderen, dann merkt garantiert keiner, wem er da gerade begegnet ist.«
»Vor der Tat und danach wird er aber sicherlich irgendwo wahrgenommen und erkannt«, setzte Tilmann Conradi den Gedankengang fort, »deshalb muss er sich auf jeden Fall bei uns melden.«
»Und aussagen, wen er selbst wiederum in diesem Zeitraum gesehen hat«, komplettierte Ludwig Willms.
»Wie wollen Sie nun vorgehen? Wozu brauchen Sie mich?« wollte der Staatsanwalt wissen.
Lindt griff nach einer Pfeife und begann, sie mit seinem Presstabak zu stopfen. »Ich hab mir Folgendes gedacht …«
Stufe eins von Lindts Plan sah vor, den Kreis der Verdächtigen erst einmal von allen ›scannen‹ zu lassen. Sternberg schloss dazu in Windeseile einen Beamer an seinen PC an und projizierte nacheinander 142 Digitalbilder an die Wand. Ab und zu gab jemand einen Kommentar ab:
»An den erinnere ich mich noch gut …«
»Der hat einen total harmlosen Eindruck gemacht ...«
»Auf den ersten Blick dachte ich, der könnte es sein, aber er kam ja freiwillig …«
»Eigentlich ganz nett …«
»Ach, der mit dem Glasauge …« Wellmann erinnerte sich noch, dass er die Aussage des Lehrers aufgenommen hatte.
»Kenn ich auch, wohnt bei uns im Haus«, antwortete Lindt. »Echt sympathisch.«
Weitere zweiunddreißig Bilder folgten, doch keinem aus der Runde fiel etwas auf, das einen der gezeigten Männer in besonderer Weise verdächtig gemacht hätte.
Nach eineinhalb Stunden fasste Lindt zusammen: »Stufe eins erfolglos – Täter kann nicht näher eingegrenzt werden.«
»Stufe zwei?«, fragte Tilmann Conradi und schaute auf seine Uhr, denn als Staatsanwalt war er eher an einen pünktlichen Feierabend gewöhnt als die Ermittler.
»Dazu brauchen wir Ihre Hilfe«, antwortete Lindt dem Staatsanwalt. »Und deine auch!« Er schaute Ludwig Willms an. »Ich möchte Speichelproben von allen.«
»Aua«, entfuhr es dem KTU-Chef. »142 Mal … hast du denn eine Ahnung, was das kostet?«
»Was kostet denn das nächste Opfer?«, kommentierte Paul Wellmann trocken. »Sollen wir mal versuchen, den Wert dieser Pianistin zu errechnen?«
»Meinst du, die bringt mehr als ein Student oder ein Alki auf seinem Mofa?«
» Schluss damit«, fuhr Lindt dazwischen. »Mir ist es gar nicht nach solchen Späßen und wenn ihr schon beim Geld seid – wir werden sehr sparsam anfangen. Zuerst reichen Wattestäbchen und Probenröhrchen. Vielleicht können wir uns ja die teuren Untersuchungen sparen.«
»Wieso denn das?« Jan Sternberg verstand den Gedankengang seines Chefs nicht.
»Also, nun mal im Einzelnen …«, begann Lindt und schaute dabei zu Tilmann Conradi. »Das Ganze läuft natürlich nur mit Ihrem Einverständnis. Kopfnicken genügt und schon haben Sie für heute Feierabend. Den Rest schaffen wir dann noch alleine …«
Um zehn Uhr am nächsten Tag herrschte drangvolle Enge im Konferenzraum. Lindt und Conradi bestanden darauf, alle Beteiligten der Aktion selbst zu instruieren. Neben sämtlichen SoKo-Mitarbeitern waren auch noch einige der jungen Bereitschaftspolizisten eingeteilt worden.
Ludwig Willms hatte 20 rote Kunststoffboxen vor sich aufgestapelt. Jan Sternberg stand neben ihm und hielt ein dickes Bündel Papier in der Hand.
»Immer zwei fahren zusammen«, begann Willms. »Jedes Team bekommt Namen und Anschrift von sieben oder acht Personen.«
Sternberg hielt die entsprechende Liste hoch.
»Eure Aufgabe ist, diese Männer aufzutreiben. Wenn ihr sie zu Hause nicht antrefft, müsst ihr sie suchen und vor allem finden. Am Arbeitsplatz, in der Kneipe, wo auch immer.«
Allgemeines Raunen ging durch den Saal.
»Ganz wichtig: Falls ihr von Dritten eine Auskunft braucht, um herauszufinden, wo sich diese Männer aufhalten, begründet ihr es damit, noch etwas nachfragen zu müssen. Erst, wenn ihr die Zielpersonen gefunden habt, kommt der Inhalt dieser Behälter zum Einsatz.«
Ludwig Willms öffnete bei einer Box die beiden Schnappverschlüsse des Deckels und holte ein durchsichtiges Kunststoffröhrchen heraus. Seitlich war ein
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