Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
gezwungen ertragen werde. So wird ihm von dem Vater das Mädchen gebunden übergeben; er führt sie fort, vermählt sich nun mit der Widerstrebenden, und sie wird die Mutter Walis. Während seiner Abwesenheit und wegen des verübten Betruges [Fußnote: Eine ganz späte, unpassende Zutat Saxos, der alles auf geschichtlich-menschliche Zustände und auf die Moral seiner Zeit zurückführt. Für eine zur Wiederbelebung der Erde sieghaft durchgeführte Arglist strafen die Götter ihren König gewiss nicht! Wir werden sehen, aus welchem Naturgrund in der alten Göttersage Ullr an Odins Stelle tritt.] entsetzt aber ein Teil der Götter Odin der obersten Gewalt; ein andrer, Ullr, erhält Odins Thron und Namen; aber bald gewinnt Odin die Götter wieder für sich; Ullr muss flüchten und wird im fernen Norden erschlagen.
Die Deutung ist nicht schwer. Rinda ist die winterliche Erdrinde; nach des Lichtgottes Baldur Tod ist die Erde dem wohltätigen Himmelsgott Odin entrückt. Vergebens bemüht dieser sich, sie für sich zu gewinnen; vergeblich bekämpft er tapfer die Winterriesen; vergeblich wirbt er um sie mit den goldenen Gaben des Sommers; vergebens zeigt er ihr die Lust kriegerischer Spiele, der schönsten Gabe der Sommerzeit; die Erde, die dem Liebesleben abgesagt, weist dreimal heftig den Freier zurück; die Versuche, des Winters Herrschaft zu brechen, scheitern. Da verflucht sie der Lebensgott für immer, dem Wintertode verfallen zu sein, falls sie ihn nicht erhöre; er wirbt um die erstarrte, indem er ihr die Füsse bespült (es ist wohl allzu kühn, hier an den Tauwind zu denken, der die Erdrinde in Tauwasser schmelzt; aber irgend ein ähnlicher Vorgang in täuschender Hülle und scheinbar ungefährlicher Gestalt liegt hier zu Grunde) und zwingt die immer noch Widerstrebende zuletzt mit Gewalt, sich dem Sieger zu ergeben und die Mutter zu werden des neuen Frühlings, der den im Vorjahr getöteten an dem Winter- und Nachtgott Hödur rächt. Ursprünglich bezog sich Baldurs Tod nur auf den jährlichen Untergang des Lichtes; erst später ward dies auf die Götterdämmerung bezogen, und nun konnte nicht mehr Baldur selbst jeden Frühling wiederkehren, – vielmehr erst in der erneuten Welt – sondern statt seiner ein Bruder, ein andrer Sohn Odins [Fußnote: Zu künstlich und zugleich recht geschmacklos scheint die Erklärung von Odins angeblicher Vertreibung aus dem Himmel nach Walis Geburt aus der Erfahrung, dass, "wenn die Tage langen, der Winter erst kommt gegangen", auch fällt ja Wali, nur eine Nacht alt, den dunkeln Wintergott Hödur. Vielmehr ist diese "Vertreibung" Odins späte Zutat Saxos und hat Ullrs Eintreten für Odin nach der echten Sage mit Rinda und Wali gar keinen Zusammenhang.] .
Wali war der Monat Liosberi (Lichtbringer; vom neunzehnten Januar bis achtzehnten Februar) geweiht, was die Grundauffassung voll bekräftigt. In diese Zeit fällt nicht nur Mariä Lichtmess (zweiter Februar), auch der Valentinstag (vierter Februar), der in England (Ophelia in Shakespeares Hamlet führt ein Volkslied darüber an), Nordfrankreich, Brabant ein Fest der Liebenden ist. An diesem Tage paaren sich nach dem Volksglauben die Vögelein, und auch die jungen Leute wählten oder erlosten für das kommende Jahr, halb im Scherz, halb im Ernst, ihren Schatz. Man hat nun Sankt Valentin als an Walis Stelle getreten gedacht, auch dieses Heiligen Namen auf einen zweiten Namen desselben Gottes: Ali, der Nährer, und einen dritten: Bui, der Bebauer, d. h. Erdbebauer, Ackerbebauer, auf Welo, Wolo (unsern neuhochdeutschen "Wohl") zurückgeführt, d. h. einen Gott des Wohlergehens, Glückes, eines Liebesfrühlings. – Auch als guter Schütze wird Wali gerühmt; der Frühlingssonnengott entsendet die fernhintreffenden Pfeile wie Phöbus Apollon.
Ullr ist nach der echten alten Sage durchaus nicht ein von den empörten Göttern eingesetzter Gegenkönig Odins, sondern lediglich Odin selbst; nur ein winterlicher, statt des sommerlichen Odins. Nur der Sommer ist die Zeit für die Kriegsfahrten des Siegesgottes – ist er doch zugleich der allbelebende Allvater der sommerlichen Lebensfreude; im Winter ruhen wie der Krieg, so jenes warme Freudeleben; Odin ist fern, so scheint es. Aber er ist doch da; nur unter dem Namen "Ullr" und in winterlicher Vermummung. Jetzt gewährt der Schnee die Fährte des Wildes dem Weidmann; nun beginnt die Jagd; Ullr führt sie an, zum Schutz gegen die Kälte in Tierfelle gehüllt, seines Birschgangs Beute
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