Walisischer Sommer
„Das kann ich nicht, es geht einfach nicht.”
„Dann bleibe ich eben hier. Und da ich dir ohne die Unterstützung anderer nicht helfen kann, haben wir nur die eine Alternative …”
Christa stockte der Atem, sie hörte gar nicht mehr richtig zu. Er würde verschwinden und sie ihrem Schicksal überlassen.
„Allein kann ich dich nicht retten, Christa. Aber ich kann wenigstens mit dir zusammen sterben.”
Christa sah hoch und bemerkte, wie Daniel sich bückte und vorsichtig begann, den Berg in ihre Richtung hinunter- zurutschen.
„Nein, Daniel …” schrie sie gequält auf und gab damit ihre wahren Gefühle preis.
Er war bereit, mit ihr zu sterben!
„Ich tue, was du sagst”, versprach sie unter Tränen. „Ich verhalte mich ganz ruhig und rühre mich nicht von der Stelle.”
„Christa?”
Wie betäubt öffnete sie die Augen. Daniel schien eine halbe Ewigkeit weg gewesen zu sein. Zunächst hatte sie sich tapfer gehalten und Mut daraus geschöpft, daß er bereit gewesen war, bei ihr zu bleiben. Doch allmählich verschwand die Euphorie. Statt dessen ergriffen wieder Angst und Panik sie. Mehrmals war sie nahe daran gewesen, sich zu bewegen und auf eigene Faust zu versuchen, sich zu retten.
Aber sie hatte Daniel ihr Wort gegeben, dort auszuharren. Und wenn er sie nun doch belogen hatte?
„Christa”, rief er noch einmal.
Sie konnte nicht mehr zwischen Phantasie und Wirklichkeit unterscheiden, dazu war ihr Schock viel zu groß. Deshalb hatte sie auch beim ersten Mal, als sie Daniels Stimme hörte, nicht den Kopf gehoben. Plötzlich prasselte Schiefergeröll neben ihr herab, und sogleich geriet sie wieder in Panik.
„Christa …”
Jetzt war sie sicher, daß sie sich alles nicht nur einbildete, obwohl Daniel sich offenbar nicht irgendwo über ihr, sondern in einiger Entfernung schräg neben ihr befand.
Vorsichtig drehte sie den Kopf und blickte sich um. Und auf einmal durchflutete ein unendliches Glücksgefühl sie. Sie konnte es kaum glauben, aber Daniel kletterte langsam die steile Wand zu ihr hinunter. Er sicherte sich mit einem Seil, das er sich um den Körper geschlungen hatte.
Nun begriff Christa auch, warum er darauf bestanden hatte, daß sie sich nicht von der Stelle rührte. Denn bei jedem seiner behutsamen Schritte löste sich eine kleine Geröllawine, die um so größer wurde, je weiter sie nach unten rollte.
Während sie angespannt auf der schmalen Felsplatte kauerte, strömten Christa Tränen über die Wangen, ohne daß sie sich dessen bewußt war.
Als Daniel schließlich direkt neben ihr angelangt war, sagte er heiser: „Alles ist gut, Christa. Weine nicht mehr, mein Liebling. Der Hubschrauber vom Rettungsdienst kommt gleich.” Umsichtig und langsam setzte er einen Fuß auf die Felsplatte, während er sich mit einer Hand an einem Haken festhielt, den er in den Felsen geschlagen hatte.
Christa sah hoch und betrachtete nachdenklich die steile Wand, die Daniel überwunden hatte, um zu ihr, Christa, zu gelangen. Er schien ihre Gedanken zu erraten, denn er meinte sanft: „Das Risiko ist zu groß.”
Aber er hat es auf sich genommen, überlegte sie gerührt, und sogleich flossen wieder die Tränen.
„Es ist doch alles gut”, tröstete Daniel sie. Dann bewegte er sich vorsichtig näher und legte einen Arm um sie.
Er fühlte sich warm an und gab ihr das Gefühl, geborgen zu sein. Der Duft seiner Haut kam Christa sehr vertraut vor. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen und ihn gebeten, sie fest an sich zu drücken. Doch das war natürlich viel zu gefährlich.
„Vertrau mir”, hatte er gesagt. Und als sie so mutterseelenallein dagelegen und auf seine Rückkehr gewartet hatte, wußte sie tief in ihrem Innern, daß sie sich auf ihn verlassen konnte, denn es paßte einfach nicht zu ihm, wegzugehen und sie ihrem Schicksal zu überlassen.
Und wenn ich ihm mein Leben anvertrauen kann, kann ich mich ihm bestimmt auch gefühlsmäßig ausliefern, dachte sie plötzlich.
„Du hättest nicht zu mir herunterklettern sollen.” Ihre Stimme bebte. „Du bist ein wahnsinniges Risiko eingegangen.”
„Ich wollte unbedingt bei dir sein”, erwiderte er schlicht. Dann nahm er ihre kalte Hand in seine und drückte sie ermutigend. „Allerdings hatte ich mir den heutigen Tag so bestimmt nicht vorgestellt”, fügte er hinzu und verzog das Gesicht.
„Ach, wirklich nicht?” ging Christa auf seine humorvolle Bemerkung ein. „Und ich dachte schon, das sei alles Teil deines Plans,
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