Walking Disaster
widerstrebend. Abby versäumte Geschichte an allen drei Tagen und aß nicht in der Cafeteria. Ich versuchte, sie nach ein paar ihrer anderen Lehrveranstaltungen abzufangen, aber entweder war sie dort auch nicht hingegangen oder hatte sie vorzeitig wieder verlassen. Ans Telefon ging sie nicht.
Shepley versicherte mir, sie sei okay und ihr sei nichts zugestoßen. So quälend es auch war zu wissen, dass ich nur wenige Schritte von Abby entfernt war – als noch schlimmer hätte ich es empfunden, total von ihr abgeschnitten zu sein und nicht zu wissen, ob sie tot oder lebendig war. Obwohl sie offenbar nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, konnte ich doch nicht aufhören zu hoffen, sie würde mir irgendwann vergeben oder anfangen, mich so zu vermissen wie ich sie, und wieder in der Wohnung auftauchen. Mir vorzustellen, dass ich sie nie mehr wiedersähe, tat zu weh, also beschloss ich, weiter zu warten.
Am Freitag klopfte Shepley an meine Zimmertür.
»Komm rein«, sagte ich vom Bett aus, wo ich lag und an die Decke starrte.
»Gehst du heute aus, Kumpel?«
»Nein.«
»Vielleicht solltest du Trent anrufen. Geh und gönn dir ein paar Drinks und lenk dich ein bisschen ab.«
»Nein.«
Shepley seufzte. »Hör zu, America kommt her, aber … und ich hasse es, dir das sagen zu müssen … aber du kannst sie nicht wegen Abby löchern. Ich konnte sie kaum überreden herzukommen. Sie will sowieso nur in meinem Zimmer sein. Okay?«
»Ja.«
»Ruf Trent an. Und du musst was essen und dich duschen. Du siehst scheiße aus.«
Danach machte Shepley die Tür wieder zu. Sie schloss nicht mehr richtig, seit ich sie aus den Angeln gerissen hatte. Jedes Mal, wenn jemand sie zumachte, fiel mir wieder ein, wie ich die Wohnung verwüstet hatte, weil Abby gegangen war, und wie sie bald danach zurückgekehrt war und wir unser erstes Mal erlebt hatten.
Ich schloss die Augen, aber wie an jedem anderen Abend der Woche konnte ich nicht schlafen. Dass Leute wie Shepley diese Qualen mehrmals wegen verschiedener Mädchen ausgestanden hatten, war der Wahnsinn. Selbst wenn ich nach Abby jemand kennenlernen sollte und selbst falls dieses Mädchen es irgendwie mit ihr aufnehmen konnte, war es für mich unvorstellbar, mein Herz noch mal herzugeben. Einfach damit ich das hier nicht wieder erleben müsste. Das ist wie langsam sterben. Wie es aussieht, hatte ich von Anfang an recht.
Zwanzig Minuten später hörte ich Americas Stimme aus dem Wohnzimmer. Sie sprachen leise und versteckten sich vor mir in Shepleys Zimmer, aber trotzdem hallte es wie ein Echo durch die ganze Wohnung.
Selbst Americas Stimme war mir unerträglich. Zu wissen, dass sie wahrscheinlich kurz vorher mit Abby gesprochen hatte, war quälend.
Ich zwang mich, aufzustehen und ins Bad zu gehen, um mich zu duschen und ein paar grundlegende hygienische Rituale zu erledigen, die ich in der vergangenen Woche vernachlässigt hatte. Das Rauschen des Wassers übertönte Americas Stimme, aber sobald ich es abdrehte, konnte ich sie wieder hören.
Ich zog mich an und schnappte mir meine Motorradschlüssel, um zu einer langen Tour aufzubrechen. Wahrscheinlich würde ich am Ende bei Dad landen, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen.
Gerade als ich an Shepleys Tür vorbeiging, klingelte Americas Telefon. Und zwar mit dem Klingelton, den sie Abby zugeordnet hatte. Mir wurde flau.
»Ich kann dich abholen kommen und irgendwo mit dir zum Abendessen gehen«, hörte ich sie sagen.
Abby war anscheinend hungrig. Vielleicht ging sie in die Cafeteria.
Ich rannte hinaus zu meiner Harley, raste vom Parkplatz und, alle roten Ampeln und Stoppschilder ignorierend, zum Campus.
Als ich bei der Cafeteria ankam, war Abby nicht dort. Ich wartete noch ein paar Minuten, aber sie tauchte nicht auf. Mit hängenden Schultern trottete ich zurück zum Parkplatz. Es war ein stiller Abend. Kalt. Das Gegenteil des Abends, an dem ich Abby nach der gewonnenen Wette zum Morgan begleitet hatte. Das erinnerte mich wieder daran, wie einsam ich mich fühlte, weil sie nicht bei mir war.
Da tauchte einige Meter entfernt eine schmale Gestalt auf, die allein in Richtung Cafeteria ging. Es war Abby.
Die Haare hatte sie zu einem Knoten aufgesteckt, und als sie näherkam, bemerkte ich, dass sie völlig ungeschminkt war. Ihre Arme waren vor der Brust verschränkt. Sie trug keine Jacke, nur eine dicke, graue Strickjacke.
»Täubchen?« Ich trat aus dem Schatten ins Licht.
Abby blieb abrupt stehen, entspannte sich jedoch ein wenig,
Weitere Kostenlose Bücher