Walküre
während die beiden auf dem Korridor weitergingen. »Die norwegische Kriminalpolizei hat sich intensiver mit dem Fall des ermordeten Journalisten Jorgen Halvorsen beschäftigt und ist auf eine seiner Kontaktpersonen hier in Hamburg gestoßen. Wir können darüber sprechen, wenn Sie die Frau vernommen haben. Glauben Sie, dass sie Jens ermordet hat?«
»Ich weiß es nicht. Es scheint verdammt oft zu passieren, dass Umstände scheinbar zufällig zusammentreffen. Sie wäre eindeutig jemand, den wir für all die Morde in Betracht ziehen müssten, wenn sie nicht unzweifelhaft in einer Anstalt eingesperrt gewesen wäre. Sie kann unmöglich der Engel oder die Walküre sein.«
»Aber sie war in Freiheit, als Jens getötet wurde«, wandte Karin Vestergaard ein.
»Stimmt. Dafür könnte sie infrage kommen. Ich werde ihr Alibi überprüfen lassen ... falls das möglich ist.« Fabel wandte sich zu ihr hin, und sie blieben stehen. »Hören Sie, Karin, dies ist nur eine erste Vernehmung, um ein paar Grundfragen klären zu können. Es wird nicht lange dauern. Danach sollten wir die ganze Sache durchsprechen. Es gibt noch zwei Todesfälle, die sich nicht klar als Morde einstufen lassen. Ich glaube einfach, dass wir bei der Menge der Ereignisse etwas übersehen könnten.«
Die Frau, die im Vernehmungszimmer auf ihn wartete, sah keineswegs wie eine Mörderin aus, weder wie eine Berufs- noch wie eine Serienmörderin. Die Spurensicherer hatten ihr sämtliche Kleidungsstücke zur Untersuchung abgenommen, und sie trug nun einen formlosen weißen Einwegoverall. Sie war schlank und, wie Fabel nicht übersehen konnte, sehr attraktiv. Nun blickte sie mit leerer Gleichgültigkeit zu ihm auf, als gingen sie die Ereignisse – und seine Anwesenheit – nichts an.
Fabel erkannte sie von dem Foto, das man ihm aus der Mecklenburger Klinik geschickt hatte.
Fabel nickte dem uniformierten Beamten zu, der die Gefangene beaufsichtigte, nahm Ute Paulus gegenüber Platz, legte seine Papiere auf den Metalltisch und belehrte sie über ihre Rechte. Karin Vestergaard war mit Werner und Anna im Nachbarraum zurückgeblieben, wo sie die Vernehmung auf dem Monitor beobachten konnten.
»Ich möchte, dass Sie etwas verstehen, Frau Paulus«, sagte er. »Ich werde Sie später noch einmal zusammen mit einem anderen Beamten vernehmen. Außerdem werden eine Psychologin und ein Rechtsbeistand für Sie dabei sein. Dann können wir detaillierter auf die Dinge eingehen. Vorläufig möchte ich nur, dass Sie Ihren Namen bestätigen.«
»Ich bin Ute Paulus. Sie haben mich Margarethe genannt, aber ich bin nicht Margarethe Paulus. Margarethe ist meine Schwester.«
»Aber das kann einfach nicht stimmen. Es gibt keine Ute Paulus. Sie haben keine Schwester. Das ist belegt.«
Sie lachte kalt. »Belege werden dauernd gefälscht. Im Osten hat man persönliche Unterlagen immer wieder abgeändert. Ich bin nicht Margarethe, sondern Ute.«
»Wer ist das?«, fragte Fabel und schob ihr eine Kopie des Krankenhausfotos hin.
»Das ist Margarethe.«
»Das sind Sie. Es hat keinen Zweck, diesen Sachverhalt zu leugnen. Wir haben Ihre Fingerabdrücke, und sie stimmen mit denen der Patientin hier überein ...« Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Bild. »Margarethe Paulus, achtunddreißig Jahre alt, geboren in Zarrentin, in Nordwestmecklenburg. Sie haben keine Schwester und keinen Bruder, und Ihre beiden Elternteile sind tot. Das sind Sie. Und Sie wurden im Mai 1994 in die geschlossene Psychiatrie in Mecklenburg eingewiesen.«
Sie schwieg. Fabel atmete tief durch.
»Warum haben Sie Robert Gerdes so zugerichtet?«
»Er hieß nicht Gerdes.« Er hörte keinen Zorn aus ihrer Stimme heraus. Nichts ließ sich an ihrer Stimme oder an ihren Augen ablesen. »Er hieß Georg Drescher und war Major in der Stasi.«
»Warum haben Sie das mit ihm angestellt?«
»Ich dachte, darüber würden wir erst später sprechen«, erwiderte sie und legte die Hände auf die Metalloberfläche. Ihre Finger waren lang und schlank. Fabel bemerkte, wie sauber ihre Fingernägel waren, und dann fiel ihm ein, dass Brauners Techniker sämtliches Spurenmaterial abgekratzt haben muss-ten. Er konnte sich kaum vorstellen, dass diese Finger die Gräuel, auf die er in ihrer Wohnung gestoßen war, begangen haben konnten.
»Ich möchte zurück«, sagte sie.
»Zurück wohin? In die Wohnung?«
»Ins Krankenhaus.«
»Wie können Sie ins Krankenhaus zurückkehren, wenn Sie dort keine Patientin sind?«, fragte Fabel.
Weitere Kostenlose Bücher