Walküre
spitzen Blick zu. »Wir organisieren Notunterkünfte für weibliche Opfer häuslicher Gewalt.«
»Ein interessanter Name.« Susanne lächelte immer noch. »Leitet sich das spanische mujer davon ab?«
Irgendwie gelang es ihr, das Gespräch in ruhigere Gewässer zu lenken, und nach einer Weile mischte Hille Deicher sich unter die übrigen Anwesenden.
»Dafür schulde ich dir Dank«, sagte Fabel. »Die Frau war kurz davor, mich auf die Palme zu bringen. Ich weiß nicht, warum man unbedingt mich hierherschicken wollte.«
»Weil du der Leiter der Hamburger Mordkommission bist. Und ob es dir gefällt oder nicht, Frau Deicher hat recht: Wir leben immer noch in einer Gesellschaft, in der Frauen Opfer von Gewalt sind. Aber ich finde, du hast deine Sache wirklich gut gemacht.« Sie zog seine Krawatte gerade, als wolle sie ihn als Nächstes zur Schule schicken. »Besonders weil Frauen dich völlig durcheinanderbringen.«
»Was meinst du damit?«, fragte Fabel empört.
»Es stimmt doch. Du glaubst offensichtlich, dass wir von einem ganz anderen Planeten stammen. Aber mach dir keine Sorgen, die meisten Männer denken das Gleiche ...«
Bevor Fabel antworten konnte, summte sein Handy. Er schaute auf das Display. Es war die Mordkommission.
»Entschuldige«, sagte er mit einem Achselzucken und hob das Handy ans Ohr. »Wahrscheinlich ein neuer Mord.«
»Wenn du recht hast«, erwiderte Susanne, »würde ich trotz der Engel-Morde wetten, dass das Opfer eine Frau ist.«
5.
Fabel traf sich im Flur vor dem Vernehmungszimmer mit Anna und Werner. Beide trugen eine alles andere als frohlockende Miene zur Schau.
»Sagt bloß, dass sie die Mörderin ist«, meinte Fabel.
»Es hatte den Anschein, Jan«, antwortete Werner. »Wirklich. Sie hat mich auf ein leeres Grundstück gelockt, sodass wir außer Sicht waren. Außerdem schien sie nicht zu wissen, wie sich Nutten normalerweise verhalten, und als sie in ihren Mantel griff, haben wir sie festgenommen.«
»Aber?«
»Sie heißt Viola Dahlke«, erklärte Anna. »Fünfundvierzig und keine Vorstrafen. Eine Hausfrau aus Billstedt.«
»Trotzdem könnte sie unsere Mörderin sein. Habt ihr ein Messer sichergestellt?«
»Nein«, erwiderte Anna. »Als sie in ihren Mantel griff, dachten Werner und ich, dass sie ein Messer herausholen wollte, aber es war nur ein Päckchen Präservative.«
»Präservative?«
»Mehr nicht«, sagte Anna. »Frag mich nicht, was eine fünfundvierzigjährige Hausfrau aus Billstedt veranlasst, im Rotlichtviertel aufzutauchen, damit sie Werner auf Touren bringen kann.«
»Schon gut«, meinte Fabel. »Ich frage sie lieber selbst.«
Eine Verhaftung ist ein Freiheitsentzug. Man wird an einen Ort befördert, den man sich nicht aussuchen kann, und hat keine Möglichkeit, ihn zu verlassen. Berufsverbrecher akzeptieren Verhaftungen als natürlichen Bestandteil ihres Lebens – sogar diejenigen, die sich auf dem Gang zur Zelle mit allen Kräften widersetzen. Für alle anderen ist eine Verhaftung ein traumatisches oder zumindest surreales Erlebnis.
Fabel wusste auf den ersten Blick, dass Viola Dahlke noch nie zuvor in Haft gewesen war. Wahrscheinlich hatte sie nicht einmal den Fuß in eine Polizeiwache gesetzt, geschweige denn ins Polizeipräsidium. Sie wirkte entgeistert und verwirrt. Ängstlich. Ihr Gesicht war bleich unter dem übertriebenen Make-up. Die grelle Beleuchtung des Vernehmungszimmers verlieh ihrer Blässe einen gelblichen Schimmer und vertiefte die Schatten unter ihren Augen. Ihr Haar war in einem matten Blond gefärbt, wie es viele norddeutsche Frauen benutzen, wenn sie ergrauen, und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Aber das Make-up und die Frisur passten nicht im Geringsten zu ihr.
»Frau Dahlke, man hat Sie vermutlich darauf hingewiesen, dass Sie nach Paragraph 136 der Strafprozessordnung das Recht haben, die Aussage zu verweigern. Außerdem haben Sie die Möglichkeit, sich durch einen Rechtsbeistand vertreten zu lassen. Verstehen Sie diese Rechte?«
Viola Dahlke nickte. Sie schien die Sorgen der Welt auf den Schultern zu tragen und hatte sich offenbar damit abgefunden. »Ich brauche keinen Anwalt. Ich möchte nach Hause. Es tut mir leid. Wenn ich das Gesetz gebrochen habe, werde ich die Strafe bezahlen. Ich habe es nicht böse gemeint. In Wirklichkeit ... in Wirklichkeit bin ich keine dieser Frauen.«
»Frau Dahlke, ich glaube nicht, dass Sie sich über die Umstände im Klaren sind. Uns interessiert nicht, ob Sie als Prostituierte arbeiten
Weitere Kostenlose Bücher