Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Walküre

Walküre

Titel: Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
Vom Netzwerk:
hielt ihre bronzene ovale Kripomarke hoch. »Polizei. Kein Grund für Sie, sich Sorgen zu machen.«
    »Was für ein Scheiß ist das denn?«, fragte ein anderer. »Was hat sie denn getan?«
    »Nichts«, sagte die Prostituierte mit flehender Stimme. »Ich habe nichts getan. Ich arbeite bloß hier, und die haben mich verhaftet.«
    »Das ist nicht richtig.« Der erste Betrunkene schüttelte ernst den Kopf. »Das ist nicht richtig. Eine Sauerei.«
    »Ja. Mistbullen«, meinte einer seiner Freunde.
    »Nun mal mit der Ruhe«, rief Werner. Er schob sich zwischen die gefesselte Frau und die Männer und zählte rasch. Es waren fünf. Betrunken und kaum ihrer Stimme mächtig, mit teuer wirkender legerer Kleidung. Wohlhabende Burschen, die in St. Pauli herumlotterten. Trotzdem hoffte Werner, dass die Schutzpolizisten bald eintreffen würden. »Das hier geht Sie nichts an.«
    »Aber es ist eine Sauerei«, wiederholte der andere. Die Gruppe rückte vor.
    »Bitte machen Sie uns keine Schwierigkeiten.« Anna trat den Männern entgegen.
    »Oder was, Dreckstück?« Der erste Mann streckte ihr sein höhnisch grinsendes Gesicht entgegen.
    »Oder das«, erwiderte sie gelassen. Der Betrunkene klappte zusammen, sackte auf die Pflastersteine und hielt sich die Hoden, in die Anna ihm das Knie gerammt hatte. Sie schwenkte ihre Dienstwaffe auf Armeslänge in die Unterleibsgegend der jungen Männer.
    »Der Nächste, der mich verärgert, kann sich von seinem Schwanz verabschieden«, erklärte sie lächelnd. »Und ihr könnt mir glauben, ich treffe immer, auch wenn das Ziel verdammt klein ist.« Die Männer wichen zurück, während ihr Gefährte sich immer noch stöhnend auf dem feuchten Kopfsteinpflaster wälzte. In diesem Moment rollte ein silberblauer Transporter der Polizei Hamburg heran, und drei Beamte sprangen heraus. Sie führten die Prostituierte in Handschellen in den Gefangenentransporter.
    »Was ist hier los?«, fragte der uniformierte Kommissar und zeigte auf den jungen Mann, der sich nun aufrappelte, wobei er immer noch seine gequetschten Hoden umklammerte.
    »Nichts, was gemeldet werden müsste«, meinte Werner. »Könnt ihr sie direkt zum Präsidium fahren?«
    »Gut. Bist du sicher, dass ihm nichts fehlt?«
    »Ich glaube, sein Stolz ist verletzt«, warf Anna ein und lächelte Werner unschuldig zu. »Ich hole den Wagen.«
     
2.
    Sylvie Achtenhagen versuchte, von dem Chaos aus Zeitungsausschnitten und Akten abzuschalten, das sie auf dem Parkettfußboden ihres Wohnzimmers ausgebreitet hatte. Sie öffnete das Panoramafenster und trat auf den Balkon hinaus. Die Nachtluft fühlte sich eisig an, und Sylvie war froh über ihre beißende Schärfe. Nachdem sie sich anderthalb Stunden lang in die Akten vertieft hatte, kam sie sich ausgelaugt und träge vor.
    Sylvies Apartment war Teil eines pastellfarbenen Wohnblocks mit einer edlen Art-Deco-Fassade. Es lag im dritten Stock des Gebäudes in der Edgar-Ross-Straße in Hamburg-Eppendorf und war elegant und geräumig. Sie war hier eingezogen, als ihre Karriere – und ihr Gehalt – deutlich nach oben schnellten. Ursprünglich hatte sie es auf eine der Jugendstilvillen in der parallel verlaufenden Nissenstraße abgesehen, doch die Häuser waren zu teuer gewesen. Und sie würden zu teuer bleiben, wenn es Sylvie nicht bald gelang, die Erwartungen beim Sender zu erfüllen.
    Die beiden Eigentümer von HanSat TV waren die Neuhansa Group und Andreas Knabbe, der den Sender gleichzeitig leitete. Knabbe war dreißig Jahre alt, sah aus wie zwölf und hatte so viel Zeit in den USA verbracht, dass er eher einem Amerikaner als einem Deutschen glich. Auch sein Managementstil war eher amerikanisch als deutsch. Zum Beispiel nannte Knabbe all seine Angestellten beim Vornamen und duzte selbst die älteren und angeseheneren Mitarbeiter häufig. Das sollte eine hemdsärmelig-informelle, freundschaftliche und familienähnliche Atmosphäre erzeugen. Von solchem Unsinn abgesehen ließ Knabbe jedoch keinen Zweifel daran, dass alle, die ihr Gehalt seiner Meinung nach nicht verdient hatten oder nicht zu seinem Geschäftsmodell passten, einpacken konnten. Knabbe hatte Sylvies Erfolg im Engel-Fall in den Neunzigerjahren häufig erwähnt, doch in letzter Zeit sprach er auch über ihre Karriere meistens in der Vergangenheitsform.
    Sylvie hatte das Gefühl, den Ereignissen ausgeliefert zu sein und genau wie alle anderen von Kräften, die sich ihrem Einfluss entzogen, manipuliert zu werden. Das war das Problem: Sie war passiv

Weitere Kostenlose Bücher