Walküre
von einer Seite zur anderen aufgeschlitzt worden. Seine Eingeweide waren seitlich aus der mundähnlich klaffenden Wunde hervorgequollen und schimmerten im gleißenden Licht der Bogenlampen, die das Spurensicherungsteam aufgestellt hatte. Ein ekelhafter Gestank drang aus dem aufgeschnittenen Leib und hing in der Luft des Zeltes.
Ein in einen weißen Overall mit Kapuze gehüllter Mann mit Mundschutz und blauen Latexhandschuhen trat auf Fabel zu.
»Hallo, Jan.« Holger Brauner, der Leiter der Spurensicherung, schob den Mundschutz vom Gesicht und lächelte. »Ganz schön frisch heute Nacht...«
Fabel erwiderte das Lächeln. Brauner war trotz des Wesens seiner Arbeit fast immer fröhlich. Oder vielleicht wegen seiner Arbeit. »Hallo, Holger. Was hast du festgestellt?«
»Nach meiner Schätzung handelt es sich um einen neunundzwanzigjährigen Mann, einen Meter neunundsiebzig groß. Er ist Angestellter ... Finanzsektor. Blutgruppe 0 rhesus negativ, litt unter einer Nussallergie und wohnte in Eppendorf.«
»Sehr eindrucksvoll, Sherlock«, sagte Fabel. »Du hast also seine Brieftasche gefunden?«
»Nein, natürlich nicht. Das alles habe ich über die DNA und mit den geheimnisvollen Fertigkeiten eines forensischen Zauberers festgestellt. Siehst du nie CSI?« Brauner grinste und hielt eine Spurensicherungstüte aus Plastik hoch, die eine schwarze Lederbrieftasche und einen Personalausweis enthielt. »Da ist alles drin. Anscheinend auch seine Kreditkarten und sein Bargeld. Nicht zu vergessen sein Handy. Raub scheint nicht das Motiv gewesen zu sein.«
»Überlass uns die Kriminalarbeit, du Laborratte«, meinte Fabel lachend. Jemand betrat hinter ihm das Zelt. Er drehte sich um und erblickte Anna und Werner. Der Oberkommissar, der Fabel angerufen und über den Mord unterrichtet hatte, verdrehte die Augen. Fabel verstand den Hinweis: Annas Make-up bildete einen grellen Kontrast zur Blässe ihrer Haut. Den gleichen Effekt hatte er an Viola Dahlke beobachtet, doch in Annas Fall war es Armin Lenschs aufgeschlitzter Bauch, der sie erbleichen ließ. Sie gab sich alle Mühe, die Leiche nicht anzuschauen. Dies war die Achillesferse der abgebrühten kleinen Anna und ein weiterer Grund für eine mögliche Versetzung.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Fabel.
»Bestens«, behauptete Anna, als müsse sie sich verteidigen, aber sie wandte die Augen immer noch von Lensch ab. »Das ist also Nummer zwei. Sieht so aus, als wären wir am Beginn einer neuen Serie.«
»Ihr beide müsst herausfinden, wann er zuletzt gesehen wurde, mit wem er zusammen war ... Werner, was ist los?« Fabels Kollege hatte sich dicht über den Toten gebeugt und musterte ihn konzentriert.
»Anna, komm her und guck ihn dir an ...«
»Ja ... sehr komisch.«
»Nein, Anna, ich meine es ernst. Guck ihn dir an ... Ist das nicht der Knabe von vorhin? Als wir Viola Dahlke verhaftet haben?«
Anna machte einen Schritt nach vorn und hielt sich den Handrücken an die Nase. »Verdammt ... Du hast recht.«
»Gut«, sagte Fabel, »heraus damit.«
»Nur ein zufälliges Zusammentreffen, Chef«, erwiderte Anna. »Das vermute ich zumindest. Wir haben dir doch berichtet, dass es bei der Verhaftung von Frau Dahlke ein kleines Problem gab ... Die Betrunkenen ...«
»Ich erinnere mich.«
»Er war der Anführer«, sagte Werner.
Fabel blickte auf Lensch hinunter. Die Lippen des Toten waren einen Spaltbreit geöffnet, als wolle er das Wort ergreifen, und seine Augen, nur halb geschlossen, schienen von einer Kamera beim Blinzeln aufgenommen worden zu sein. Er hatte seine kurz geschnittenen Haare mit irgendeinem Gel gestylt. Das Hemd, dessen untere Hälfte blutgetränkt war, sah teuer aus. Lenschs Hosenbund war geöffnet und der Reißverschluss des Schlitzes halb heruntergezogen. Die Wunde an seinem Bauch wies auf einen einzigen entschlossenen Schnitt hin. Der Mörder musste gewusst haben, was er tat. Als wäre es nicht das erste Mal gewesen.
»Und warum wurde er nicht verhaftet?«, fragte Fabel. »Hat er sich friedlich zurückgezogen?«
»Er hat ein bisschen gejammert«, antwortete Anna, und Fabel bemerkte, wie Werner ihr einen Blick zuwarf.
»Du hast doch nicht etwa ...«, erkundigte sich Fabel erbittert.
»Chef, die Sache nahm hässliche Formen an. Wir warteten auf Unterstützung, und der Bursche hier fing an, das Maul aufzureißen. Wenn jemand aggressiv wird und gewarnt worden ist, anderthalb Meter Abstand zu halten, dürfen wir ihn nach den Vorschriften
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