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Walküre

Walküre

Titel: Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Er verstand sie nicht. Auch konnte er nicht begreifen, warum sie nun korrekt und akzentfrei sprach. Ihre behandschuhte Hand schnellte hoch wie ein Messer und schlug mit aller Wucht an seine Halsseite, knapp unter seinem Kinn und hinter dem Ohr. Die Welt wurde durch den Schlag trüber, und er merkte, wie seine Beine nachgaben. Claasens wusste nicht, was geschah, doch er trat vor, um sie zu packen. Sie wich ihm mit einem Tempo und einer Präzision aus, deren er sie nicht für fähig gehalten hätte. Ihre Handkante traf ihn erneut an genau derselben Stelle, und diesmal wankte er tatsächlich. Emily trat zur Seite und nutzte Claasens Schwung geschickt, um ihn über das Sicherheitsgeländer zu stoßen.
    Auf dem Weg nach unten schrie er nicht einmal.
    Sie blickte hinunter in den mächtigen Innenhof. Claasens lag neun Etagen unter ihr wie eine zerbrochene Puppe auf den Fliesen. Ein purpurner Heiligenschein umgab seinen Kopf. Er schien auf seinem schönen Gesicht gelandet zu sein.
    Emily nahm den Brief, bei dessen Formulierung sie mitgewirkt hatte, und warf ihn über den Geländerrand, sodass er zum Fußboden des Atriums hinunterflatterte.
     

Viertes Kapitel
1.
    Fabel hatte nur ein kurzes Telefongespräch mit Sarah Westland geführt, aber er hatte gemerkt, dass ihr Kummer sie zu überwältigen begann. Sie war sehr geschäftsmäßig und gefasst gewesen, doch durch ihre Stimme zog sich eine gewisse Anspannung wie eine straffe Schnur.
    Durch den Kummer war ihr Bedarf an Luxus allerdings nicht gedämpft worden. Fabel hatte sich mit ihr in ihrem Hotel verabredet. Es war eines der teuersten Hamburgs mit einer Aussicht auf die Binnenalster. Sarah Westland hatte eine Suite im obersten Stockwerk gemietet, und als Fabel an die Tür klopfte, wurde sie zu seiner Überraschung von Martina Schilmann geöffnet.
    »Hallo, mein Lieber«, sagte sie mit einem spitzbübischen Lächeln. Sie trat auf den Korridor und zog die Tür hinter sich zu. »Du kannst einfach nicht wegbleiben, stimmt's?«
    »Du passt auf Sarah Westland auf?«
    »Ja. Schließlich besteht das Risiko, dass die Presse sie belästigt.«
    »Richtig, aber ...«
    »Aber wir haben die Sache mit ihrem Mann vermasselt. Ich weiß. Andererseits war sie es, die uns beauftragt hatte, die Sicherheitskräfte für seine Deutschlandtournee zu stellen. Ich habe sie angerufen und ihr erklärt, wie leid uns alles tue. Sie hat großartig reagiert. Da sie von der Polizei Hamburg erfahren hat, dass Westland uns ganz bewusst abhängen wollte, schien sie zu akzeptieren, dass wir nichts unternehmen konnten. Vielen Dank dafür. Natürlich braucht sie die Sicherheitsmaßnahmen nicht zu bezahlen. Außerdem werden wir ihr die Bewachung ihres Mannes nicht berechnen. Ehrlich gesagt, es geht um Schadensbegrenzung.«
    »Wie fühlt sie sich?«
    »Sie ist zäh, aber das Ganze setzt ihr zweifellos zu. Ich glaube nicht, dass Westland und sie Seelenverwandte oder so etwas waren. Meiner Ansicht nach macht sie sich keine Illusionen über seine Treue; aber eine gewisse Nähe muss zwischen ihnen bestanden haben. Vielleicht ist das der Fall, wenn man gemeinsame Kinder hat.«
    »Danke, Martina. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich mich gern allein mit ihr unterhalten.«
    »Kein Problem. Ich lasse sie wissen, dass du hier bist.«
    Fabel wurde eher an ein prächtiges venezianisches Apartment als an ein Hamburger Hotelzimmer erinnert. Sein erster Eindruck war der eines Zusammenstoßes von Vivaldi mit Bang&Olufsen: eine Mischung aus üppigem Barockdekor und teurem, feudalem Mobiliar mit Hightech-Elektronik. Die internationale Fassade des Fünfsterneluxus. Irgendetwas daran fand Fabel gleichzeitig anziehend und abstoßend: seine spontane Reaktion gegen jegliches Gepränge. Eine spontane nordeuropäische, lutherische Reaktion.
    Jake Westlands Witwe war eine Frau von abgehärmter Schönheit. Fabel begriff, dass sie einst atemberaubend gewesen sein musste, doch die Zeit hatte ihre Schönheit zersetzt, und der kürzlich erlittene Verlust hatte sie noch ein bisschen mehr mitgenommen. Sarah Westland saß auf dem Sofa unter den mächtigen Fenstern, die über die Binnenalster zum Ballindamm auf der anderen Seite hinausblickten. Sie trüg sehr teure Kleidung, doch Fabel bemerkte einen vagen Mangel an Stil. Als sie seinen Gruß erwiderte, hörte er einen britischen Regionalakzent heraus, ohne ihn jedoch genauer identifizieren zu können. Früher war Fabel fähig gewesen, die regionale und soziale Herkunft eines Engländers

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