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Walküre

Walküre

Titel: Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Erwachsenenalter: mit sechzehn Jahren. Wussten Sie, dass Jake adoptiert wurde?«
    »Ja.«
    »Er hatte eine sehr enge Beziehung zu seinen Adoptiveltern, besonders zu seiner Mutter. Jake dachte, dass es eine Kränkung für sie wäre, wenn er nach seinen leiblichen Eltern Ausschau hielte. Deshalb tat er es erst nach ihrem Tod. Seine Mutter starb vor drei Jahren, und Jake verwandte plötzlich drei Monate seines Lebens darauf, seine leibliche Mutter ausfindig zu machen. Als es ihm gelang, wurde ihm mitgeteilt, dass sie sich nicht mit ihm treffen wolle. Sie war über siebzig Jahre alt und wohnte in Manchester. Walisische Wurzeln.« Sie lachte leise. »Jake erstaunte es, dass er halber Waliser war. Er hatte sich immer für einen hundertprozentigen Engländer gehalten. Jedenfalls gab Jake nicht auf. Er wusste, dass Unehelichkeit in den frühen Fünfzigerjahren ein großes Stigma bedeutete, aber er sehnte sich danach, sie kennenzulernen. Deshalb ging er einfach zu ihrem Haus und klopfte an die Tür.«
    »Was ist passiert?«
    »Sie spuckte ihn an. Diese gutbürgerliche, elegant gekleidete siebzigjährige Witwe spuckte ihn an. Dann schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu. Er hat mir erzählt, wie er mit Spucke im Gesicht in ihrem sorgfältig gepflegten Vorstadtgarten stand.
    Er war so erschüttert, dass er einen Privatdetektiv anheuerte. Als der Mann ihm Bericht erstattete, war Jake am Boden zerstört. Er hatte sich nämlich eine melodramatische Geschichte ausgemalt: dass er durch einen Akt verbotener Liebe in einer grausamen, unversöhnlichen Zeit gezeugt worden sei. Es stimmte, dass die Zeit grausam und unversöhnlich gewesen war, aber er verdankte sein Leben einer Vergewaltigung. Seine leibliche Mutter war als Teenager in einem Park von einem Fremden überfallen worden. Die Polizei fasste ihn nie, und seien wir ehrlich, damals wurde das Vergewaltigungsopfer genauso verdächtigt wie der Vergewaltiger. Da Abtreibungen verboten waren, musste sie die Schwangerschaft durchstehen. Sofort nach der Geburt gab sie Jake zur Adoption frei.«
    »Er hat mit seiner leiblichen Mutter nie mehr gesprochen?«
    »Nein.«
    »Und deshalb setzte er sich so sehr für Anti-Vergewaltigungs-Organisationen ein?«
    »Jake konnte es nie verwinden. Zuerst quälte er sich damit, dass er für immer von seiner Mutter abgewiesen worden war. Dann verrannte er sich, je länger er darüber nachdachte, in die Vorstellung, dass wenigstens die Hälfte seiner DNA von einem perversen Vergewaltiger stammte. Jake identifizierte sich mit all den unerwünschten Kindern in Bosnien, die durch Vergewaltigung entstanden waren. Und mit den Vergewaltigungsopfern. Er fühlte sich mit ihnen verbunden. Mir schien, dass er jedes Opfer mit seiner leiblichen Mutter gleichsetzte.«
    »Ich verstehe.«
    »Es war etwas, das die Presse nie herausfand. Nicht dass sie in letzter Zeit so interessiert gewesen wäre wie früher.«
    Sie wurden durch ein Klopfen unterbrochen. Martina Schilmann öffnete die Tür von außen und ließ eine uniformierte Kellnerin ein, die ein Tablett mit einer Kaffeekanne und mehreren Tassen auf den niedrigen Tisch stellte.
    »Was wissen Sie über die Investitionen Ihres Mannes?«, fragte Fabel, nachdem die Kellnerin hinausgegangen war. Er schenkte eine Tasse Kaffee für Sarah Westland und eine weitere für sich selbst ein. »Er scheint einiges damit verdient zu haben, und ein Teil des Geldes war offenbar hier angelegt.«
    »Ja, er hatte ziemlich viel investiert. Besonders hier in Hamburg. Jake konnte manches an Menschen und Orten erkennen, was anderen entging. Deshalb waren seine Investitionen wohl so erfolgreich.«
    »Und warum gerade Hamburg?«
    Sarah Westland unterdrückte ein Lachen. »Für einen Musiker wie Jake war Hamburg eine Art Mekka. Die Beatles und all das. Aber ich erinnere mich, dass er auch aus geschäftlichen Gründen hier war, auf Erkundungsreisen sozusagen. Für ihn war Hamburg die Stadt, in der man sein Geld anlegen sollte. Er meinte, Hamburger seien geborene Unternehmer und Geschäftsleute. Häufig erwähnte er auch einen Handelsbund ...«
    »Die Hanse?«
    »Ja ... Hier hätten alle noch den Handelsgeist von früher. Seiner Ansicht nach boten sich die großen Gelegenheiten im Fernen Osten. In China und Indien. Und Hamburg, glaubte er, würde einer der Haupthandelspartner des Ostens in Europa sein. Stimmt das, was er über die Hamburger Bevölkerung gesagt hat?«
    »Im Großen und Ganzen.« Fabel lächelte. »Es gibt den Witz, dass der

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