Walküre
anhand seines Akzents zu bestimmen. Doch da er seit Langem keinen Kontakt mehr zu dem Land und der Kultur gehabt hatte, war ihm diese Fähigkeit weitgehend abhandengekommen. Sarah Westland allerdings schien verwirrt zu sein, als Fabel sich vorstellte.
»Sie sind Engländer?«, fragte sie stirnrunzelnd.
»Nein, Deutscher. Und halber Schotte. Ich bin zweisprachig aufgewachsen und habe als Kind viel Zeit in Großbritannien verbracht. Mein herzliches Beileid, Mrs. Westland.«
»Meinen Sie das ernst?« Ihre Frage klang aufrichtig. »In Ihrem Beruf müssten Sie sich doch an den Tod gewöhnt haben. Und daran, mit den Hinterbliebenen zu reden.«
»Daran gewöhnt man sich nie«, sagte Fabel. »Und es tut mir wirklich leid.«
»Wann kann ich Jake ... ich meine, seine Leiche ... mit nach Hause nehmen?«
»Wir haben die Freigabeformulare vorbereitet. Entschuldigen Sie, dass es so lange gedauert hat. Manchmal sind wir ziemlich bürokratisch. Ich nehme an, dass Sie die Überführung arrangiert haben?«
»Für übermorgen. Vom Flughafen Hamburg.«
»Mrs. Westland, darf ich Ihnen ein paar Fragen über Ihren Mann stellen?«
»Damit hatte ich gerechnet.« Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück, als wolle sie es sich für eine längere Unterhaltung als erwartet bequem machen. »Wenn es Ihnen hilft, Jakes Mörderin zu finden, dann antworte ich Ihnen natürlich gern.«
»Gab es irgendwelche Probleme mit hartnäckigen Fans, Stalkern und so weiter?«
»Nur das Übliche. Nichts Bedrohliches. Ein paar Spinner, sonst nichts. Meiner Meinung nach kann es niemand gewesen sein, den wir kennen. Ich nehme an, es war eine Deutsche, die ihn getötet hat. Aber es gibt keine, die Jake jemals belästigt hat.«
»Keine sonstigen Auseinandersetzungen oder Eifersüchteleien, von denen Sie wissen?«
»Nichts, was jemanden zu einer solchen Tat veranlassen könnte.« Sie schwieg, und ihre Augen verschleierten sich ein wenig.
»Sie haben am Abend des Konzerts mit ihm telefoniert. Hat er Ihnen etwas Ungewöhnliches mitgeteilt? War von einem ihn bedrückenden Ereignis oder Menschen die Rede?«
»Nein. Wir haben nur über das Konzert gesprochen. Außerdem über die Kinder und ein paar Dinge, die wir nach seiner Rückkehr organisieren wollten.« Sarah Westlands Antwort war unkompliziert, doch ihr Gesichtsausdruck schien auf noch etwas anderes hinzudeuten. Fabel beschloss, später auf das Telefonat zurückzukommen.
»Was wissen Sie über die Wohltätigkeitsorganisation, die Mr. Westland unterstützt hat? Über die Sabinerinnen-Stiftung?«
»Jake hat sich für eine Menge Wohlfahrtsverbände engagiert, Herr Fabel. Ich habe ihm bei der Verteilung seiner Spenden geholfen. Sie waren einer großen Zahl von Problemen gewidmet, aber drei Organisationen lagen ihm besonders am Herzen: eine im Vereinigten Königreich für die Opfer sexueller Nötigung und eine für die psychologische Betreuung der Kinder von vergewaltigten Frauen in Bosnien. Und natürlich hat er sehr eng mit der Leitung der Sabinerinnen hier in Hamburg zusammengearbeitet.«
»Mit Petra Meissner?«, fragte Fabel.
Sarah Westland betrachtete ihn mit matter Miene. »Ja, mit Petra Meissner. Ihre Zusammenarbeit war so eng, dass die britische Presse Mutmaßungen über ihre Beziehung anstellte, weshalb Sie wahrscheinlich ihren Namen genannt haben. Ich bin nicht naiv, Herr Fabel, sondern mir ist nur zu bewusst, dass es andere Frauen gab; dass Jake Affären hatte. Aber die waren ...« – sie suchte nach dem richtigen Wort – »... unbedeutend. Trotz seines Rufes als Schürzenjäger konnte Jake Frauen eigentlich nie verstehen. Auch mich nicht. Seine Einstellung war ziemlich unkompliziert: Er teilte uns Frauen in Kategorien ein, und Petra Meissner gehörte für ihn zur Kategorie reines Geschäft. Jake hätte sich nie mit einer Frau mit einer so wichtigen Funktion eingelassen. Und sie spielte tatsächlich eine wichtige Rolle, denn er war ausschließlich wegen der Sabinerinnen-Stiftung hier ... Seine ganze Deutschlandtournee war zur Finanzierung des einen Ereignisses in Hamburg arrangiert worden.«
»Warum? Ich meine, warum war das so vorrangig für Mr. Westland?«
»Gibt es hier ein Gesetz, das Adoptivkindern das Recht gewährt, sich über ihre leibliche Herkunft zu informieren?«
»Ja ...« Fabel war verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel. »Ja, das gibt es. Adoptivkinder haben dieses gesetzlich garantierte Recht.«
»In Großbritannien erhält man das Recht erst im
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