Walkueren
Nicht eine Seite. Sie hat letzte Woche in meinem Büro gesessen und mir erzählt, sie sei gut vorangekommen, wolle das Ganze aber noch mal überarbeiten und bis zum 1. Juni abgeben. Freyja muss das Manuskript bei sich in der Wohnung haben. Habt ihr da nicht schon was gefunden? Das wird ein Bestseller!«
Zum Abschied nahm Hervar ein gebundenes Buch aus dem Regal und reichte es Terje.
»Hier ist ›Bettfreuden‹«, sagte der Verleger großzügig. »Du kannst es behalten, aber wenn ihr noch mehr Exemplare braucht, müsst ihr sie natürlich bezahlen. Und ihr müsst mir das ›Walküren‹-Manuskript sofort schicken, wenn ihr es gefunden habt. Der Tod der Autorin ist für die Vermarktung des Buches allerdings ziemlich ungünstig – obwohl …?«
Der Umschlag des Buches glänzte schwarz. Der Titel ›Bettfreuden – Liebhaber und Leidensgenossen‹ sowie der Name der Autorin Freyja Hilmarsdóttir waren mit roter Schrift geprägt. Die Fläche zwischen Titel und Namen zierte ein Foto in roten Farbtönen, offenbar stark vergrößert und grafisch bearbeitet.
»Kannst du erkennen, was das auf dem Foto ist?«, fragte Hervar.
Terje betrachtete das Bild.
»Nein, auf Anhieb nicht. Sieht aus wie ein Farbenspiel der Natur.«
»Ja, nicht schlecht«, sagte Hervar. »Sieh genauer hin.«
Terje musterte das Foto; dann erkannte er es.
»Nein, das glaube ich nicht!«, sagte er.
»Doch, aber das erkennen die wenigsten«, sagte der Verleger. »Es ist eine Klitoris. Und nicht irgendeine, sondern die Klitoris der Autorin. Sie hat das Bild selbst gemacht. Sie hat sich Sachen erlaubt, die sich andere nie getraut hätten. Sie hatte nichts zu verbergen. So eine Autorin war Freyja.«
11
Obduktion
Da Þórhildur nicht zu Hause war, öffnete Víkingur den Kühlschrank und überlegte, was er sich zum Abendessen machen könnte. Er hatte keine Lust gehabt, auf dem Weg nach Hause etwas einzukaufen, und vertraute auf den Kühlschrank. Da war leider nicht viel zu holen. Ein paar Eier in der Kühlschranktür brachten ihn dann aber auf eine Idee: Anstatt durch Schneematsch und Salzlaken hinunter zum Supermarkt zu stapfen, könnte er sich ein Omelett machen und es mit einer Selbstbeschwichtigungsrede über die Notwendigkeit gelegentlicher fettarmer Mahlzeiten garnieren.
Jawohl, unten im Eckschrank waren noch Kartoffeln, und in einem Korb auf der Küchenbank lagen Zwiebeln. Bauernomelett, dachte er, als sein Blick auf eine neue Blechdose im Gewürzregal mit irgendeiner erlesenen Currymischung aus dem Feinkostladen fiel. Indisches Bauernomelett, dachte Víkingur, schaltete das Radio ein, band sich die Schürze um und griff nach der Reibe.
Die Abendnachrichten im Radio hatten gerade begonnen, und erstaunlicherweise war die Menschheit an diesem Tag mal nicht von irgendwelchen Katastrophen heimgesucht worden. Während Víkingur die Kartoffeln unter dem kalten Wasserstrahl wusch, lauschte er dem Klang der sonoren Sprecherstimme. Dann begann er, die Zwiebel mit der Reibe zu raspeln. Schon bald schwammen seine Augen in Tränen, und der alte Hausfrauenrat fiel ihm wieder ein, beim Zwiebelschneiden Wasser laufen zu lassen. Just als er zum Spülbecken ging, sagte der Sprecher etwas über die Reykjavíker Polizei, weshalb Víkingur den Wasserhahn doch nicht aufdrehte und die Ohren spitzte.
Aufgrund eines Hinweises von Sveinbjörn Ragnarsson, der wegen Mordverdachts an seiner Frau in Untersuchungshaft sitzt, suchte die Reykjavíker Polizei heute am Öskjuhlíð nach der Leiche von Ásgerður Halldórsdóttir. Dies ist das dritte Areal, das die Polizei durchkämmt; zuvor gab es bereits umfangreiche Suchaktionen zu Wasser und zu Lande in Geldinganes sowie in der Hafnarfjörður-Lava. Die Suche am Öskjuhlíð wurde heute Vormittag nach zwei Stunden plötzlich abgebrochen, obwohl sie laut Polizeiinformationen nicht erfolgreich gewesen war. Die Kriminalpolizei verweigerte jede Aussage zu den Ermittlungen.
Die Landespolizeidirektion teilte mit, die Kripo Reykjavík habe noch keine Hilfe bei der Ermittlung des Falles
in Anspruch genommen. Die Landespolizei verfügt über einen speziell ausgebildeten Suchtrupp, den Polizeiinspektionen im ganzen Land bei Bedarf zur Unterstützung anfordern können.
Lúðvík Ásmundsson, Polizeidirektor in Reykjavík, erklärte in einem Gespräch mit der Nachrichtenredaktion, es gäbe keinen Grund, Verstärkung anzufordern, solange man nicht sicher sei, dass die Suche im richtigen Gebiet stattfände.
Länger war die
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