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Walkueren

Walkueren

Titel: Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Þráinn Bertelsson
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schwarz vor Augen, als er zu Boden ging.
     
    Einer der jungen Männer, die Hakim als Kabinettsvertreter vorgestellt hatte, warf sich auf Jökull und drückte mit einer Hand seinen Kopf in den Schnee. In der anderen hielt er eine Pistole.
    Trotz allem war es überhaupt nicht unangenehm. Jökull spürte, wie sich die Muskeln in dem jungen Körper anspannten, als der Mann nach allen Seiten schaute, um auszumachen, aus welcher Richtung Gefahr drohte. Seine Muskeln waren fest wie Stahlseile, und er roch gut, eine Mischung aus schwer duftendem Rasierwasser und exotischen Gewürzen. Die Berührung war intensiv, und Jökull, der in Island seit über zehn Jahren am Tage wie in der Nacht alleinherrschend war, verspürte eine merkwürdige Erleichterung darüber, jeglicher Verantwortung entledigt und vollständig in der Gewalt eines anderen Mannes zu sein, der den eigenen Körper als Schutzschild benutzte und sich an ihn presste. Er überwand jedoch das Verlangen, seinen Beschützer zu umarmen, und drehte seinen Kopf ein klein wenig, um die Nase aus dem Schnee heben zu können.
    Jökull sah, dass zwei andere Kabinettsvertreter sich auf Hakim und Jamila geworfen hatten, mit Schusswaffen herumfuchtelten und aufgebracht um sich blickten. Es schien nicht zu den Aufgaben der Leibwächter zu gehören, den Protokollanten des isländischen Außenministeriums zu beschützen, denn dieser saß mit ausgestreckten Beinen im Schnee, hatte seinen Hut verloren und machte, gelinde gesagt, ein verwundertes Gesicht.
    Jamila schrie etwas in ihrer Muttersprache, und der Mann, der auf ihr lag, brüllte lauthals zurück und versuchte zudem, sie zur Besinnung zu bringen, indem er sie leicht mit der freien Hand ohrfeigte.
    Hakim Abdul-Rahman lag totenstill unter seinem Leibwächter und regte sich nicht. Hatte er einen Schuss abbekommen? Jökull zuckte bei dem Gedanken zusammen. War es möglich, dass sie von Terroristen umzingelt waren, Attentätern, die sie aus dem Hinterhalt beschossen hatten und sich jetzt heranschlichen? Jökull spürte, wie ihm bei dem Gedanken, er könne womöglich eine Kugel in den Kopf bekommen, feucht zwischen den Beinen wurde. Er presste sein Gesicht wieder in den Schnee und kämpfte damit, das Rinnsal zu stoppen. Natürlich war Hakim das Ziel.
    Jökull selbst hatte mit keinem Menschen Streit, zumindest mit niemandem im Orient. Terroristen waren schließlich auch eine Art Politiker, und als solche würden sie verstehen, dass er vollkommen unschuldig war und keinerlei Verantwortung für den Einmarsch feindlicher Truppen in ihr Land und die dazugehörigen Verluste trug. Sie mussten begreifen, dass die Unterstützungserklärung für die Vereinigten Staaten lediglich ein politischer Akt war, mit dem Ziel, die Verbindung zwischen Island und den USA zu stärken und profitable Geschäfte isländischer Firmen voranzutreiben. Die Amerikaner hätten Saddam so oder so den Krieg erklärt, ob die Isländer nun ihren Segen dazu gaben oder nicht. Kapierten sie denn nicht, dass Island keine Rolle spielte? Wollten sie einen unschuldigen Mann, der sich im Grunde überhaupt nicht für sie interessierte, kaltblütig ermorden?
    Jökull hielt die Luft an und versuchte, ganz still zu liegen. Er lauschte angestrengt auf Schüsse, aber das Einzige, was er hörte, war das gurgelnde Gespräch zwischen Jamila und dem Leibwächter und das Klatschen der Ohrfeigen, die dieser zwischendurch wie Satzzeichen verwendete, um Jamilas Worte zu strukturieren. Sie hallten durch die Schlucht. Zum Glück waren keine Schüsse zu hören. Dennoch rang Jökull nach Atem. Ihm wurde klar, dass man gemäß Geschwindigkeitsberechnungen keinen Schuss hört, wenn man eine Kugel in den Kopf bekommt, da diese sich schneller bewegt als der Ton. Warum zum Teufel habe ich diese Leute empfangen?, dachte er und bedauerte es, nicht wesentlich mehr Champagner getrunken zu haben.
    Man sagt, viele Menschen würden im Angesicht des Todes noch einmal ihr gesamtes Leben rekapitulieren. Jökull verschwendete keine Zeit daran, sich noch einmal jede Kleinigkeit ins Gedächtnis zu rufen, sondern dachte darüber nach, ob sein Ziel, Ministerpräsident zu werden, richtig gewesen war. Die Frage war nicht leicht zu beantworten. In vielerlei Hinsicht war es ein Drecksjob, und er würde einige Aufgaben nicht einmal seinem Hund zumuten. Andererseits gab es natürlich gewisse Vorteile und angenehme Privilegien. Obwohl sein Hund zu Hause nicht in Gefahr war, wollte er doch lieber Ministerpräsident sein

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