Walkueren
worden, weil ich mit ihr gesprochen habe? Bin ich womöglich schuld daran?«
»Nein, niemand ist schuld, außer dem, der sie aus dem Weg geräumt hat.«
»Aus dem Weg geräumt? Ach, du lieber Gott!«
»Glaubst du, der Mann, der dich angerufen hat, ist von Magnús beauftragt worden?«
Brynhildur zögerte mit der Antwort und sagte dann mit großem Nachdruck: »Falls derartige Verbrechen begangen worden sind, dann ist es völlig ausgeschlossen, dass Magnús etwas damit zu tun hat.«
»Was meinst du mit ›derartige Verbrechen‹?«
»Ich habe selbst relativ schlechte Erfahrungen damit gemacht, zu glauben, Magnús sei ehrenhaft. Aber ich weiß, dass er niemals so weit gehen würde, einen Menschen zu töten – außer vielleicht aus Notwehr.«
Nach dem Telefonat saß Guðrún eine Weile reglos da und starrte in die Luft, ohne irgendetwas zu sehen oder zu hören. Ihr Kopf war vollkommen leer. Erschöpft. Im Vergleich mit Gesprächen von Angesicht zu Angesicht waren Telefonate sehr unbefriedigend, aber man konnte sie schließlich nicht nach Kalifornien schicken, um mit Brynhildur zu reden, geschweige denn nach Nepal, um Svava Baldursdóttir anzuhören, obwohl es keine Chance gab, sie telefonisch zu erreichen.
»Diese geschiedenen Damen haben ja ganz schön Dampf unterm Hintern«, bemerkte Terje. »Wie wenn man im Frühling die Kühe auf die Weide lässt. Die eine meditiert in Amerika, die andere studiert Buddhismus in Ganzweitweg, und Sigrún, mit der ich gerade gesprochen habe, ist oben im Bárðardalur. Die genießen ja wirklich ihre Freiheit, wenn ihre Männer sie nicht mehr flachlegen wollen.«
»Welche Sigrún?«
»Sigrún Freysdóttir, die Exfrau von Konditormeister und Brandstifter Guttormur. Als ich sie endlich erreicht hab, war sie schon nicht mehr zu Hause auf dem Land, sondern in Akureyri. Und was glaubst du, was sie da gemacht hat?«
Guðrún war nicht gerade in der Stimmung, zu Terjes Belustigung an irgendwelchen Fragespielchen teilzunehmen, aber sie wollte ihren Frust nicht an ihm auslassen.
»Sie war einkaufen?«
»Nein, sie hat ein Seminar geleitet«, sagte Terje. »Sie hat sich einen netten Zweitjob neben der Landwirtschaft zugelegt. Weißt du, was für Seminare sie da oben unterrichtet?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«
»Ist dein Hormonhaushalt heute unausgeglichen?«, fragte Terje. »Du solltest dir vielleicht eine Woche frei nehmen und dich in den Norden zu einem dieser Seminare von Sigrún aufmachen. Es geht um ein Thema, das fast alle interessiert.«
»Und?«, sagte Guðrún entnervt. »Was für Seminare sind das?«
»Sexseminare«, antwortete Terje und grinste dabei von einem Ohr bis zum anderen. »Sigrún bringt den Leuten aus Akureyri und Umgebung jetzt an drei Tagen in der Woche bei, wie man einen Orgasmus – oder mehrere – bekommt. Ausgerechnet dort scheint es eine große Nachfrage zu geben. Warst du schon mal in Akureyri?«
»Ja.«
»Ich auch. Ich fand die Leute eh ein bisschen verklemmt, so als könnte ihnen ein bisschen Hemmungslosigkeit und hin und wieder ein ordentlicher Orgasmus nichts schaden. Ich hoffe, es gelingt ihr.«
»Was hat diese Sigrún denn gesagt?«
»Sie hat gesagt, alle Frauen hätten ein Recht auf einen Orgasmus.«
»Äh, ich meine nicht, was sie über dieses Orgasmusseminar gesagt hat, sondern was sie über Freyja Hilmarsdóttir gesagt hat.«
»Ja, warte mal. Dazu komme ich noch. Sie hat nämlich etwas Bemerkenswertes gesagt. Sie hat gesagt, dass Männer, die Frauen nicht befriedigen können – vermutlich sowohl ihre eigenen als auch fremde Frauen –, weder verstehen noch anerkennen, dass Frauen in der Regel mehr Zeit und Stimulierung brauchen als Männer, um zum Orgasmus zu kommen. Es gehe einfach nur darum, die Frau zu respektieren, indem man sich mehr Zeit lasse. Glaubst du, das stimmt?« Terje schaute sie fragend an. Guðrún wusste nicht so recht, ob er sie auf den Arm nehmen wollte.
»Woher soll ich das verdammt noch mal wissen?«, fragte sie.
»Na ja, du bist doch eine Frau«, sagte Terje. »Hast du denn jedes Mal einen Orgasmus?«
»Was geht dich das an?«, blaffte Guðrún instinktiv.
»Ich meine, ist das für dich irgendwie tabu?«, fragte Terje. »Wenn man’s genau nimmt, geht das vielleicht niemanden was an. Aber die Leute reden ständig über Dinge, die sie nichts angehen. Sie wollen partout darüber sprechen. Wie geht es dir? Hast du dich gestern gut amüsiert? Wie fandest du den Film? Was ist dein
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