Wall Street Blues
einmal sah er aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. Er wurde kreidebleich, sprang auf und sagte, er müsse telefonieren.«
»Ist Ihnen jemand aufgefallen, der nach ihm schaute?«
»Nein. Es war so voll. Ungewöhnlich voll.« Und laut. Die Bar war dicht belagert gewesen...
»Haben Sie Jacob Donahue dort gesehen?«
»Jacob Donahue? War er dort? Das wußte ich nicht.« Sie war verblüfft. Barry hätte doch bestimmt etwas gesagt, wenn er seinen Arbeitgeber dort in der Menge entdeckt hätte? »Ich habe ihn nie in Person gesehen, nur auf Zeitungsfotos, deshalb bin ich nicht sicher, ob ich ihn erkannt hätte. War er dort?« fragte sie noch einmal.
Silvestri überging die Frage. »Was sagte Barry Stark zu Ihnen? Fangen Sie ganz von vorn an, als er Sie gestern anrief.«
Sie konzentrierte sich, weil sie genau sein wollte. »Er sagte, er habe ein Problem und wolle mich treffen. Ich dachte, es sei ein Problem in seinem Büro. Barry hatte ständig Probleme. Er verdiente eine Menge Geld, aber er beklagte sich immer, nicht genug zu verdienen. Und der Markt mit neuen Emissionen ist tot.« Wie Barry.
»Erklären Sie das bitte.«
»Neuemissionen, das sind Firmen, die an die Börse gehen. Man spricht da von Ersteinführungen. Alle größeren Maklerhäuser befassen sich mehr oder weniger damit. Um es einfach auszudrücken, eine private Firma zahlt einer Maklerfirma viel Geld, um sie an die Börse zu bringen, um ihre Aktien auf dem Markt zu verkaufen. Die Verkäufer — die Makler — der Firma verkaufen dann diese Aktien für die Firma, die an die Börse geht. Die großen Häuser wie Shearson und Merrill teilen die besten davon gewöhnlich unter sich auf und bieten anderen, kleineren Maklerfirmen Aktienpakete an. Firmen wie Donahue übernehmen die kleineren, unwichtigeren Firmen, die an die Börse gehen wollen, Firmen, die riskanter für die zukünftigen Aktionäre sind und von den etablierten Firmen eher mißtrauisch betrachtet werden.« Wetzon beugte sich vor, während sie sprach, war ganz in ihrem Metier und wurde zusehends unbefangener.
»Donahue gibt normalerweise bei dem, was er an die Börse bringt, keine Pakete an andere Maklerfirmen ab. Es bleibt alles in der Firma, und das ist es, was seine Makler fast ausschließlich verkaufen. Wenn diese Neuemissionen auf den Markt kommen, setzt die Firma einen Preis für die Aktie an, und wenn der Markt am Boden ist, dann ist der Preis niedrig. Deshalb wartet eine Firma oft mit der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft ab, um einen besseren Preis für ihre Aktie zu erzielen. Wenn der Markt flau ist und sich eher nach unten als nach oben bewegt, trocknet der Markt für Neuemissionen aus und Maklerfirmen wie Donahue, die nur auf Kunden für Neuemissionen gesetzt haben, verdienen nichts. Das ist alles sehr vereinfachend, fürchte ich«, sagte sie entschuldigend.
»Aber sie können andere Aktien neben den Neuemissionen verkaufen, oder nicht?« fragte Silvestri stirnrunzelnd. »Sie könnten das doch sicher gleichzeitig tun?«
»Ja, aber die meisten tun es nicht. Sicher, eigentlich hat es keinen Sinn, sich zu spezialisieren, aber die meisten Makler tun es trotzdem. Sie verlegen sich auf etwas, worin sie das große Geld wittern. Barry war so ein Mensch. Viele Makler haben eine langfristige Karriere im Auge. Sie wollen einen Kundenstamm aufbauen und diesen Stamm mit den Jahren durch Empfehlungen vermehren und sich so ein anständiges, dauerhaftes Geschäft schaffen. Aber andere, wie Barry, sagen, sie wollen es auf die Schnelle machen. Sie wollen ihren Reibach machen — ihre Million einstecken und aussteigen, bevor sie fünfunddreißig sind.«
Silvestri machte große Augen. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen, daß es ihr Spaß machte, fuhr sie fort. »Und manchen von ihnen gelingt es. Andere machen ihre Million und hauen dann entsprechend auf den Putz. Autos, Häuser, Alkohol, Drogen, Glücksspiel, Frauen, Scheidungen. Eine Million reicht nicht weit, wenn man die Regierung und den Mob als Teilhaber hat. Viele Makler dieser Sorte sind kaputt, ehe sie fünfunddreißig sind. Ich habe Gespräche mit Vier- oder Fünfundzwanzigjährigen geführt, die buchstäblich zitternd vor mir saßen — high von Drogen — , ich weiß nicht, was.« Sie führte es ihm mit Gesten vor. »Diese Kinder verdienen netto eine Dreiviertelmillion Dollar, mehr oder weniger. Was macht eine fünfundzwanzigjährige Rotznase mit soviel Geld? »Wieviel brauchen Sie?« frage ich immer, weil ich neugierig bin.
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