Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Vielleicht gibt es eine Verkäuferin, die sich an ihn erinnern kann?«
»Vielleicht hatte er einen fliegenden Teppich«, warf Martinsson ein. »Ich werde weiter an der Sache arbeiten.«
»Die Verwandtschaft«, meinte Kurt Wallander. »Wir müssen sie alle durchgehen.«
Er suchte eine Liste mit Namen und Adressen aus seiner Mappe und gab sie Rydberg.
»Die Beerdigung ist am Mittwoch«, sagte Rydberg. »In der Kirche von Villie. Ich mag keine Beerdigungen. Aber ich glaube, daß ich zu dieser gehen werde.«
»Ich selbst fahre morgen wieder nach Kristianstad«, sagte Kurt Wallander. »Göran Boman scheint Ellen Magnusson nicht zu trauen. Er glaubt, daß sie nicht die Wahrheit gesagt hat.«
Es war ein paar Minuten vor sechs, als sie ihre Besprechung beendeten.
Sie vereinbarten, sich am nächsten Nachmittag wieder zu treffen.
»Wenn Näslund wieder gesund ist, kann er sich um diesen gestohlenen Leihwagen kümmern«, sagte Kurt Wallander. »Haben wir eigentlich jemals erfahren, was diese polnische Familie in Lenarp gemacht hat?«
»Er arbeitet in der Zuckerfabrik in Jordberga«, antwortete Rydberg. »Seine Papiere waren alle in Ordnung. Obwohl er das selbst nicht gewußt hat.«
Kurt Wallander blieb in seinem Büro, nachdem Rydberg und Martinsson gegangen waren. Auf seinem Tisch lag ein Stapel mit Papieren, die er durchsehen mußte. Es handelte sich um die Akten zu der Anzeige wegen Körperverletzung, mit der er während der Silvesternacht beschäftigt gewesen war. Außerdem lagen da unzählige Berichte, die sich um alles, von entlaufenen Hunden bis zu dem Lastwagen, der in der letzten Sturmnacht umgekippt war, drehten. Ganz unten im Stapel fand er einen Zettel, auf dem ihm eine Lohnerhöhung mitgeteilt |275| wurde. Er rechnete schnell aus, daß er im Monat 39 Kronen mehr ausgezahlt bekommen würde.
Als er den Papierstapel durchgesehen hatte, war es fast halb acht. Er rief in Löderup an und sagte seiner Schwester, daß er unterwegs sei.
»Wir haben Hunger«, sagte sie. »Arbeitest du immer so spät in den Abend hinein?«
Er nahm eine Kassette mit einer Puccinioper und ging zu seinem Auto. Eigentlich hatte er sich noch versichern wollen, ob Anette Brolin die Ereignisse des gestrigen Abends wirklich vergessen hatte. Aber er ließ es bleiben. Das mußte warten.
Seine Schwester Kristina erzählte ihm, daß die Haushaltshilfe, die ihr Vater bekommen sollte, eine entschlossene Frau um die Fünfzig war, die wohl kaum Probleme damit bekommen würde, ihn zu versorgen.
»Besser hätte er es nicht treffen können«, sagte sie, als sie ihn auf dem dunklen Hof in Empfang genommen hatte.
»Was macht Vater?«
»Er malt.«
Während seine Schwester das Abendessen kochte, saß Kurt Wallander im Atelier auf dem Schlitten und sah zu, wie das Herbstmotiv entstand. Sein Vater schien das, was vor ein paar Tagen geschehen war, völlig vergessen zu haben.
Ich muß ihn regelmäßig besuchen, dachte Kurt Wallander. Mindestens dreimal pro Woche, am besten zu festen Zeiten.
Nach dem Abendessen spielten sie mit dem Vater ein paar Stunden Karten. Um elf Uhr ging er ins Bett.
»Ich fahre morgen nach Hause«, sagte seine Schwester. »Ich kann nicht länger wegbleiben.«
»Danke, daß du gekommen bist«, sagte Kurt Wallander.
Sie machten aus, daß er sie am nächsten Morgen um acht Uhr abholen und zum Flughafen fahren sollte.
»Auf Sturup war alles ausgebucht«, sagte sie. »Ich fliege von Everöd.«
|276| Das paßte Kurt Wallander ausgezeichnet, da er sowieso nach Kristianstad fahren wollte.
Kurz nach Mitternacht betrat er seine Wohnung in der Mariastraße.
Er goß sich ein großes Glas Whisky ein und nahm es mit ins Bad. Dann lag er lange da und entspannte seine Glieder in dem warmen Wasser.
Obwohl er versuchte, nicht daran zu denken, tauchten Rune Bergman und Valfrid Ström in seinem Kopf auf. Er versuchte zu verstehen. Aber das einzige Resultat, zu dem er kam, war etwas, an das er vorher schon viele Male gedacht hatte. Es war eine neue Welt entstanden, ohne daß er es bemerkt hatte. Als Polizist lebte er nach wie vor in einer alten. Wie sollte er lernen können, in dieser neuen Zeit zu leben? Wie geht man mit der großen Unsicherheit um, die man gegenüber großen Veränderungen verspürt, die noch dazu viel zu schnell geschehen?
Der Mord an dem Somalier war eine neue Art von Mord gewesen.
Der Doppelmord von Lenarp dagegen war ein Verbrechen nach altbekanntem Muster.
Aber war er das wirklich? Er dachte an die
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