Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Brutalität und die Schlinge.
Es war fast halb zwei, als er endlich zwischen die kühlen Laken kroch.
Die Einsamkeit im Bett empfand er quälender als je zuvor.
Dann verstrichen drei ereignislose Tage.
Näslund kam zurück, und es gelang ihm, das Problem mit dem gestohlenen Auto zu lösen.
Ein Mann und eine Frau hatten eine Serie von Einbrüchen begangen und dann das Auto in Halmstad abgestellt. In der Mordnacht hatten sie sich in einer Pension in Båstad aufgehalten. Der Wirt der Pension gab ihnen ein Alibi.
|277| Kurt Wallander sprach mit Ellen Magnusson. Sie verneinte nachdrücklich, daß Johannes Lövgren der Vater ihres Sohnes Erik war.
Er besuchte auch Erik Magnusson noch ein zweites Mal und forderte das Alibi, nach dem er bei seinem ersten Besuch vergessen hatte zu fragen.
Erik Magnusson war mit seiner Verlobten zusammengewesen. Es gab keinen Grund, dies anzuzweifeln.
Martinsson kam mit Lövgrens Fahrt nach Ystad nicht weiter.
Nyströms waren sich ihrer Sache sicher, genauso wie alle Busfahrer und Taxifahrer.
Rydberg ging zu der Beerdigung und sprach mit neunzehn verschiedenen Verwandten von Lövgrens.
Dabei kam nichts heraus, was sie irgendwie weiterführte.
Die Temperatur hielt sich um null Grad. Mal war es windstill, mal nicht.
Kurt Wallander traf Anette Brolin im Flur. Sie bedankte sich für die Blumen. Er war trotzdem unsicher, ob sie auch wirklich einen Schlußstrich unter die Ereignisse jener Nacht gezogen hatte.
Rune Bergman schwieg noch immer, obwohl die Beweise gegen ihn überwältigend waren. Unterschiedliche nationalistische Heckenschützenorganisationen versuchten, die Verantwortung für das begangene Verbrechen auf sich zu nehmen. In der Presse und den anderen Massenmedien wurde über die Asylfrage in Schweden eine hitzige Diskussion geführt. Während es in Schonen ruhig war, brannten in anderen Landesteilen nachts Holzkreuze vor verschiedenen Unterkünften für Asylbewerber.
Kurt Wallander und seine Mitarbeiter in der Ermittlungsgruppe, die versuchten, den Doppelmord von Lenarp aufzuklären, schirmten sich von all dem ab. Es passierte nur äußerst selten, daß es zu Meinungsäußerungen kam, die nicht direkt mit der festgefahrenen Ermittlung zu tun hatten. Aber Wallander merkte, daß er nicht der einzige war, der gegenüber dieser |278| neuen Gesellschaft, die gerade im Begriff war, sich herauszubilden, Unsicherheit und Verwirrung empfand.
Wir leben, als ob wir einem verlorenen Paradies nachtrauerten, dachte er. Als ob wir uns nach Autodieben und Tresorknackern aus früheren Zeiten sehnten, die den Hut hoben und freundlich waren, wenn wir kamen, um sie zu holen. Aber diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei, und es bleibt die Frage, ob sie eigentlich tatsächlich jemals so idyllisch waren, wie wir sie in Erinnerung haben.
Am Freitag, dem 19. Januar, geschah dann alles auf einmal.
Für Kurt Wallander begann der Tag schlecht. Um halb acht fuhr er mit seinem Peugeot zum TÜV und entkam nur mit knapper Not einer Stillegung seines Autos. Als er die Mängelliste durchlas, wußte er, daß eine Reparatur für viele tausend Kronen fällig war.
Mißmutig fuhr er zum Polizeipräsidium.
Er hatte es noch nicht einmal geschafft, die Jacke auszuziehen, als Martinsson zur Tür hereingestürzt kam.
»Endlich!« rief er aufgeregt. »Jetzt weiß ich, wie Johannes Lövgren nach Ystad und wieder nach Hause gekommen ist.«
Kurt Wallander vergaß den Ärger mit seinem Auto und spürte, wie er unmittelbar von Spannung erfaßt wurde.
»Es war kein fliegender Teppich«, fuhr Martinsson fort. »Der Schornsteinfeger hat ihn mitgenommen.«
Kurt Wallander sank auf seinen Schreibtischstuhl.
»Welcher Schornsteinfeger?«
»Schornsteinfegermeister Artur Lundin aus Slimminge. Plötzlich hat sich Hanna Nyström daran erinnert, daß der Schornsteinfeger am Freitag, dem 5. Januar, dagewesen ist. Er hat beide Häuser gefegt und ist dann weggefahren. Als sie sagte, daß er Lövgrens Schornsteine zuletzt gefegt hat und gegen halb elf weggefahren ist, ist mir endlich ein Licht aufgegangen. Ich habe gerade mit ihm gesprochen. Ich habe ihn erwischt, als er das Pflegezentrum in Rydsgård fegte. Es stellte |279| sich heraus, daß er ein Mann ist, der niemals Radio hört, fernsieht oder Zeitungen liest. Er fegt Schornsteine, und den Rest seiner Zeit verbringt er damit, Schnaps zu trinken und sich um ein paar Stallkaninchen zu kümmern. Er hatte keine Ahnung davon, daß Lövgrens ermordet worden sind.
Weitere Kostenlose Bücher