Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
verschwiegen gewesen wie gegenüber seiner Frau?
Kurt Wallander stand mit dem Vorsatz aus dem Bett auf, daß er an diesem Tag nicht eher aufgeben würde, bis er nicht definitiv wußte, ob Johannes Lövgren der Vater von Ellen Magnussons Sohn Erik war.
In aller Hast frühstückte er und traf dann kurz nach neun |290| Rydberg vor dem Polizeipräsidium. Martinsson, der die Nacht in einem Auto vor Erik Magnussons Wohnung in Rosengård verbracht hatte und mittlerweile von Näslund abgelöst worden war, hatte die Nachricht hinterlassen, daß während der Nacht nicht das geringste passiert war. Erik Magnusson befand sich in seiner Wohnung. Die Nacht war ruhig gewesen.
Es war ein diesiger Januartag. Rauhreif lag auf den braunen Feldern. Rydberg saß müde und schweigsam neben Kurt Wallander auf dem Beifahrersitz. Erst als sie sich Kristianstad näherten, begannen sie, miteinander zu reden.
Um halb elf trafen sie Göran Boman im Polizeipräsidium von Kristianstad.
Zusammen gingen sie die Abschrift des Verhörs durch, das Göran Boman vor einer Weile mit der Frau geführt hatte.
»Es gibt nichts Nennenswertes über sie zu berichten«, sagte Göran Boman. »Wir haben sie und ihre nächste Umgebung durchkämmt. Es gibt nichts Auffälliges. Ihre Geschichte läßt sich auf einem Blatt Papier zusammenfassen. Sie hat dreißig Jahre lang in der gleichen Apotheke gearbeitet. Sie hat mehrere Jahre in einem Chor mitgesungen, aber damit wieder aufgehört. Sie leiht eine Menge Bücher in der Stadtbücherei. Ihre Ferien verbringt sie bei einer Schwester in Vemmenhög, reist niemals ins Ausland, kauft nie neue Kleider. Sie ist ein Mensch, der zumindest äußerlich ein völlig undramatisches Leben führt. Ihre Gewohnheiten sind regelmäßig, ja fast schon pedantisch. Das Bemerkenswerteste ist eigentlich, daß sie es überhaupt aushält, so zu leben.«
Kurt Wallander dankte ihm für die geleistete Arbeit.
»Jetzt übernehmen wir«, sagte er.
Sie fuhren zu Ellen Magnusson nach Hause.
Als sie ihnen öffnete, dachte Kurt Wallander, daß ihr Sohn seiner Mutter sehr ähnelte. Er konnte nicht ausmachen, ob sie ihren Besuch erwartet hatte. Ihre Augen schienen abwesend, so als befinde sie sich eigentlich ganz woanders. Kurt Wallander sah sich im Wohnzimmer um. Sie hatte gefragt, ob sie eine |291| Tasse Kaffee haben wollten. Rydberg hatte abgelehnt, aber Kurt Wallander willigte gern ein.
Jedesmal, wenn Kurt Wallander eine fremde Wohnung betrat, war es ihm, als betrachte er den Umschlag eines Buches, das er gerade neu bekommen hatte. Die Wohnung, die Möbel, die Bilder und die Düfte waren Titel. Jetzt würde er anfangen zu lesen. Aber Ellen Magnussons Wohnung kannte keine Gerüche. Es war, als würde sich Kurt Wallander in einer unbewohnten Wohnung befinden. Er atmete lediglich den Duft von Trostlosigkeit. Von grauer Resignation. Vor dem Hintergrund bleicher Tapeten hingen Farbdrucke mit undeutlichen, abstrakten Motiven. Die Möbel, die den Raum füllten, waren altmodisch und klobig. Spitzendeckchen lagen ordentlich zusammengefaltet auf ein paar Mahagonitischen. Auf einem kleinen Wandregal stand die Photographie eines Kindes, das vor einem Rosenbeet saß. Kurt Wallander fiel auf, daß das einzige Bild, welches sie von ihrem Sohn hatte, ein Bild aus seiner Kindheit war. Als erwachsener Mann war er hier nicht anwesend.
Neben dem Wohnzimmer befand sich ein kleines Eßzimmer. Kurt Wallander schob die halbgeöffnete Tür mit dem Fuß auf. Zu seiner aufrichtigen Überraschung hing ein Gemälde seines Vaters an der Wand, eine Herbstlandschaft ohne Auerhahn.
Er stand da und betrachtete das Bild, bis er hinter sich das Klirren eines Tabletts hörte.
Es war, als hätte er das Motiv seines Vaters zum erstenmal gesehen.
Rydberg hatte sich auf einen Stuhl am Fenster gesetzt. Kurt Wallander dachte, daß er ihn einmal fragen würde, warum er sich immer ans Fenster setzte.
Woher kommen unsere Gewohnheiten, überlegte er. In welcher geheimen Fabrik werden unsere Gewohnheiten und schlechten Angewohnheiten produziert?
Ellen Magnusson goß ihm eine Tasse Kaffee ein.
Er fand, daß er jetzt anfangen mußte.
|292| »Göran Boman von der Polizei aus Kristianstad ist hier gewesen und hat Ihnen eine Reihe von Fragen gestellt«, sagte er. »Sie dürfen sich nicht darüber wundern, wenn wir Ihnen die gleichen Fragen nun noch einmal stellen.«
»Sie dürfen sich dann aber auch nicht darüber wundern, wenn Sie wieder die gleichen Antworten bekommen«, erwiderte
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